EMO Hannover 2023: Hier fand die Schülerrallye TechVenture der WGP erstmals statt.

EMO Hannover 2023: Hier fand die Schülerrallye TechVenture der WGP erstmals statt. (Bild: Deutsche Messe)

„Wir wollen dem teils dramatischen Rückgang an Nachwuchs etwas entgegensetzen. Denn wir können die Wirtschaftskraft und den Wohlstand unseres Landes nur aufrechterhalten, wenn wir dafür sorgen, dass sich unsere Kinder wieder für MINT-Fächer begeistern.“ Das sagte Prof. Michael Zäh, Präsident der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) auf der Frühjahrstagung der WGP vergangene Woche in Bamberg.

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„Das produzierende Gewerbe ist das Rückgrat unserer Wirtschaft“, ergänzt Zäh, der auch das Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) an der TU München leitet. „Schon heute müssen einige Unternehmen aufgrund des Fachkräftemangels ihre Produktion herunterfahren. Und auch an den Universitäten wird es immer schwieriger, ausreichend Personal für die Forschung zu finden. Bleibt das Problem bestehen, werden wir längerfristig im internationalen Wettbewerb zurückfallen. Das wäre extrem nachteilig für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“

Dr. Rainer Stetter
Dr. Rainer Stetter (Bild: ITQ GmbH)

Das Problem ist lange bekannt, mittlerweile in seiner Dramatik auch erkannt und es haben auch bereits einige Player - vorrangig aus Industrie und Universitäten - Initiativen ergriffen. so auch die WGP. Ihre im Sommer 2023 gestartete bundesweite Nachwuchsinitiative für Schüler:innen hat Unterstützung durch den Unternehmer Dr. Rainer Stetter bekommen. Der  Gründer der "Stiftung Technik macht Spaß" sieht die Aufgabe ganz pragmatisch:  „Wir müssen in den ,Häuserkampf‘ gehen“, ist sein im übertragenen Sinn zu verstehendes Credo. Er geht in Schulen und Museen und stellt internationale Großveranstaltungen auf die Beine. „Wir organisieren weltweit Makeathons, mit denen wir schon zahllose junge Leute für Technik begeistert haben. Ob das eine nachhaltige Wirkung hat, können wir noch nicht mithilfe von Statistiken nachweisen. Aber ich sehe den Erfolg, wenn ich in die glänzenden Augen schaue.“

Die Aktivitäten der WGP gegen den MINT-Fachkräftemangel sind vielfältig:

  • Makeathons mit bundesweiter oder auch internationaler Ausstrahlung will Stetter gemeinsam mit den über das ganze Land verstreuten WGP-Instituten organisieren.
  • Angedacht ist zudem eine Teilnahme der WGP an den internationalen Innovationsfestivals unter dem Motto „Technik macht Spaß“.
  • Einen weiteren Anknüpfungspunkt bietet die WGP-Schülerrallye „TechVenture – Technik ist mehr als Mathe“, die das erste Mal auf der EMO Hannover 2023 stattfand.

Neuartiger MINT-Studiengang in Chemnitz

Mit dem neuen Studiengang soll MINT-Interessierten ein flexibler Einstieg mit starkem Anwendungsbezug ermöglicht werden. (Bild: Jacob Müller)

Auch die universitäre Landschaft verändert sich, um dem sinkenden Interesse an technischen Studiengängen entgegenzuwirken. Von 2016 bis 2022 ist die Anzahl der Studierenden im ersten Hochschulsemester in Ingenieurwissenschaften und Informatik von 143.400 auf 125.500 gesunken und ging damit um 12,5 Prozent zurück. Um den Einstieg in die Hochschulausbildung zu erleichtern, hat zum Beispiel die TU Chemnitz einen ungewöhnlichen MINT-Studiengang geschaffen.

Zum Wintersemester 2024/25 startet dort der überarbeitete Bachelor-Studiengang „MINT: Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften mit Anwendungen in der Technik“. Das Studium bietet eine solide Grundausbildung in zwei der drei wählbaren Fächer Mathematik, Physik und Informatik und richtet sich insbesondere an Abiturient:innen, die sich für ein MINT-Studium interessieren, aber mehrere „Lieblingsfächer“ haben, interdisziplinär unterwegs sein oder mit starkem Anwendungsbezug arbeiten wollen. Zugleich schafft der neue Studiengang auch die fachwissenschaftliche Voraussetzung für das Lehramt an Oberschulen.

„Um die Berufsaussichten müssen sich MINT-Absolventinnen und -Absolventen keine Gedanken machen, da ihre Kenntnisse auf breitem Gebiet gefragt sind. MINT-Fächer sind essentiell für viele Zukunftstechnologien wie Data Science, Deep Learning, medizinische Bildverarbeitung und vieles mehr“, erläutert Prof. Dr. Martin Stoll, Prodekan der Fakultät für Mathematik.

Defizite bei Schülern, Abbrüche bei Studierenden und Auszubildenden

Trotz solcher Aktivitäten wird es wohl noch lange dauern, bis sich die Situation in Deutschland beim MINT-Nachwuchs wieder gedreht haben wird. Das legen zumindest aktuelle Erkenntnisse aus dem MINT Nachwuchsbarometer 2024 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Joachim Herz Stiftung nahe:

Die mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungen der Neuntklässler:innen an deutschen Gymnasien sind in den vergangenen zehn Jahren erheblich abgefallen, die Schüler:innen verloren durchschnittlich eineinhalb Lernjahre.

  • Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung bei den sogenannten Spitzen- und Risikogruppen in den PISA-Studien. Waren die Gruppen vor einem Jahrzehnt noch etwa gleich groß, hat sich seitdem die Spitzengruppe halbiert und die Risikogruppe verdoppelt.
  • Der Mathematikunterricht an deutschen Schulen  ermöglicht den Schüler:innen wenig Transfer des erlernten Wissens in ihren Lebensalltag.
  • Jede zweite Person, die ein MINT-Studium beginnt, bricht dieses ab oder wechselt in ein anderes Fach. 2012 betrug die Abbruch- und Wechselquote nur etwa 16 Prozent, seit 2018 verharrt der Wert bei 50 Prozent.
  • Die Zahl der aufgelösten Ausbildungsverträge bei technischen Berufen erreicht einen neuen Höchststand: Fast 30 Prozent der bestehenden Ausbildungsverträge wurden 2023 aufgelöst.

MINT-Unterricht müsse Jugendliche stärker aktivieren und ihnen einen Transfer des erlernten Wissens in ihren Alltag ermöglichen. Dies erfordere den Einsatz von innovativen Lernmethoden wie dem kollaborativen problembasierten Lernen, fordern acatech-Präsident Prof. Dr.-Ing. Jan Wörner und Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst, Vorstandsvorsitzende der Joachim Herz Stiftung. Gleichzeitig sei es wichtig, die Faszination für MINT-Themen durch einen verstärkten Fokus auf gesellschaftlich relevante Herausforderungen zu wecken.

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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