ETH Zürich revolutioniert Antriebstechnik

Schall treibt künstliche Muskeln an

Ein Stachelrochen-Roboter aus künstlichen Muskeln mit Mikroblasen, der sich mittels Ultraschalls navigieren lässt und zum Beispiel Medikamente an den richtigen Ort bringen kann.
Ein Stachelrochen-Roboter aus künstlichen Muskeln mit Mikroblasen, der sich mittels Ultraschalls navigieren lässt und zum Beispiel Medikamente an den richtigen Ort bringen kann.

Forschende der ETH Zürich haben künstliche Muskeln entwickelt, die Mikrobläschen enthalten und sich mit Ultraschall steuern lassen. Sie könnten künftig als Greifarm, Pflaster oder als Roboter in Medizin und Technik zum Einsatz kommen.

Auf den ersten Blick sieht es wie ein einfaches Materialexperiment aus: Ein kurzer Ultraschallimpuls reicht, und ein dünner Streifen Silikon beginnt sich zu biegen oder zu wölben. Doch es steckt viel mehr dahinter.

Ein Team um Daniel Ahmed, Professor für akustische Robotik in den Biowissenschaften und im Gesundheitswesen, hat eine neue Klasse von künstlichen Muskeln entwickelt: flexible Membranen, die dank tausenden winzigen Luftbläschen auf Ultraschall reagieren.

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Flexible Bewegung dank Bläschenanordnung

Für die Herstellung der künstlichen Muskeln nutzten die Forschenden eine Gussform mit einer Mikrostruktur. Die in dieser Form hergestellte Silikonmembran hat auf ihrer Unterseite winzige Poren, Jede einzelne ist um die 100 Mikrometer tief und breit, also etwa so dick wie ein menschliches Haar. Tauchen die Forschenden die Membran ins Wasser, bleiben winzige Luftbläschen in den Poren eingeschlossen.

Wenn Schallwellen auf diese Bläschen treffen, beginnen sie zu schwingen und erzeugen eine gerichtete Strömung, die den Muskel bewegt. Größe, Form und Anordnung der Bläschen lassen sich präzise steuern – so entstehen Bewegungen von gleichmäßiger Krümmung bis hin zu wellenförmigen Mustern. Die Muskeln reagieren innert Millisekunden und lassen sich drahtlos kontrollieren.

Sind alle Bläschen gleich groß, krümmt sich die Membran je nach Stärke des Signals. Sind sie unterschiedlich groß, reagieren sie bei verschiedenen Frequenzen und die Bewegung läuft wellenförmig ab.
Sind alle Bläschen gleich groß, krümmt sich die Membran je nach Stärke des Signals. Sind sie unterschiedlich groß, reagieren sie bei verschiedenen Frequenzen und die Bewegung läuft wellenförmig ab.

Sanftes Zupacken, gleitende Bewegung

Die Forschenden haben die künstlichen Muskeln in mehreren Anwendungen demonstriert. Eine davon ist ein weicher Miniatur-Greifarm. Im Experiment konnten sie zeigen, dass dieser eine Zebrafisch-Larve im Wasser behutsam umschließen und anschließend wieder freilassen konnte. "Es war faszinierend zu sehen, wie präzise und gleichzeitig sanft der Greifer funktioniert – die Larve schwamm danach unversehrt davon", erzählt Zhiyuan Zhang, ehemaliger Doktorand bei Ahmed und einer der beiden Erstautoren der in der Fachzeitschrift Nature publizierten Studie.

Um die wellenförmigen Bewegungen zu demonstrieren, haben die Forschenden außerdem einen Roboter in Form eines winzigen Stachelrochens gebaut. Er ist ungefähr vier Zentimeter breit. Zwei künstliche Muskeln übernehmen die Funktion der Brustflossen. Sobald die Forschenden sie mit Ultraschall anregen, entsteht eine wellenförmige Bewegung, die den Miniroboter durchs Wasser gleiten lässt, ganz ohne Kabel.

"Die wellenförmige Fortbewegung war für uns ein echtes Highlight", sagt Ahmed. "Sie zeigt, dass wir mit den Bläschen nicht nur einfache Bewegungen erzeugen können, sondern auch komplexe Muster wie bei einem lebenden Organismus."

Langfristig könnte der sogenannte "Stingraybot", wie die Forschenden den Roboter nennen, im Magen-Darm-Trakt eingesetzt werden, um dort Medikamente punktgenau freizusetzen oder minimal-invasive Eingriffe zu unterstützen. Auch haben die Forschenden bereits überlegt, wie sich der Stingraybot dereinst in den Magen transportieren lässt: Sie rollen ihn auf und platzieren ihn in einer eigens dafür entwickelten Kapsel, die man schlucken kann und die sich im Magen auflöst.

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Für enge Räume und sensible Oberflächen geeignet

Zudem stellten die Forschenden aus dem Silikon mit unterschiedlich großen Bläschen ein kleines Rad her, das sich ebenfalls mit Ultraschall antreiben lässt. In Versuchen mit einem Schweinedarm konnten sie zeigen, dass sich damit durch die Darmwindungen navigieren lässt, indem die Forschenden die unterschiedlich großen Bläschen nacheinander anregen.

"Der Darm ist ein besonders schwieriges Umfeld, da er eng, kurvig und unregelmäßig ist", erklärt Zhan Shi, ehemaliger Doktorand bei Ahmed und der andere Erstautor. "Gerade deshalb war es beeindruckend, dass unser Rad-Roboter sich darin tatsächlich bewegen konnte."

Darüber hinaus entwickelten die Forschenden weiche Pflaster, die sich dank Ultraschallaktivierung auf gekrümmten Strukturen festhalten können. Solche Pflaster könnten individuell an Gewebeformen angepasst werden und Medikamente lokal freisetzen, etwa für die Behandlung von Narben oder Tumoren. In Experimenten gelang es dem Team bereits, als Test, Farbstoff gezielt in ein Gewebemodell einzuschleusen.

Weiche Muskeln mit medizinischem Potenzial

"Zuerst haben wir die Grundlagenforschung durchgeführt und dann demonstriert, wie vielseitig die künstlichen Muskeln einsetzbar sind: von der Medikamentenabgabe über die Fortbewegung im Magen-Darm-Trakt bis hin zu Pflastern am Herzen", fasst Ahmed zusammen.

Noch bleibt es bei Laborversuchen, doch das Potenzial für künftige medizinische und technische Anwendungen ist groß. Langfristig könnten solche weichen Muskeln helfen, Medikamente präziser zu verabreichen und Eingriffe schonender zu machen. Die Kombination aus Biokompatibilität, Flexibilität und drahtloser Steuerung macht sie zu einem vielversprechenden Werkzeug für die Medizin. Für die Forschenden steht der Weg zu akustisch gesteuerten Muskeln erst am Anfang.

(Quelle: ETH Zürich)

FAQ: Künstliche Muskeln mit Schallantrieb

1. Wie funktionieren künstliche Muskeln, die sich mit Schall bewegen?
Die Muskeln bestehen aus flexiblen Polymermaterialien, die durch gezielte Schallwellen in Bewegung versetzt werden. Akustische Energie wird über Luft auf eine spezielle Membran übertragen, die dadurch mechanisch verformt wird – ähnlich einer Vibration. Diese Verformung erzeugt gezielte Bewegungen, ohne dass Strom direkt am Aktor benötigt wird.

2. Welche Vorteile bietet der schallbasierte Antrieb gegenüber klassischen Aktuatoren?
Die Technologie ermöglicht besonders leichte, flexible und kabellose Antriebssysteme. Sie kommt ohne direkte elektrische Leitungen aus, was das Gewicht reduziert und Sicherheitsrisiken senkt. Die Steuerung erfolgt präzise über Frequenzänderungen, wodurch auch komplexe Bewegungsabläufe möglich werden.

3. In welchen Bereichen könnten die schallgesteuerten Muskeln eingesetzt werden?
Besonders interessant ist der Einsatz in der Softrobotik, Medizintechnik, bei minimalinvasiven Eingriffen, sowie in der Mikrorobotik und der Industrieautomation. Überall dort, wo Flexibilität, geringe Größe und kontaktlose Steuerung entscheidend sind, eröffnen sich neue Anwendungsmöglichkeiten.

4. Was sind die aktuellen Herausforderungen der Technologie?
Zu den offenen Punkten zählen der noch hohe Energieverlust durch Luftschall, die begrenzte Reichweite, Geräuschentwicklung bei hörbaren Frequenzen sowie die fehlende Serienfertigung. Dennoch sehen die Forschenden ein hohes Potenzial für Weiterentwicklungen und industrielle Anwendungen in naher Zukunft.