Nachbericht zur Keynote der Automation NEXT Conference 2025

Warum Automatisierung eine Notwendigkeit ist

Mit einem offenen Blick auf die aktuellen Herausforderungen der Industrie eröffnete Simon Schmidt, Senior Manager Business Unit Automated Intralogistic, Manufacturing and Assembly Systems vom Fraunhofer IPA die Automation NEXT Conference 2026. Er widmete sich der Frage, wie sich Automatisierung entwickelt hat, welche Formen sie heute annimmt und welche Rolle vor allem KI-basierte Systeme künftig spielen werden.

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Die Keynote unterstrich noch einmal, warum gerade die industrielle Automatisierung gerade in Deutschland großes Potential hat.
Die Keynote unterstrich noch einmal, warum gerade die industrielle Automatisierung gerade in Deutschland großes Potential hat.

Schon zu Beginn stellte Schmidt klar, dass das Thema Automatisierung für Unternehmen keine optionale Entwicklung sei. Die Vielzahl an Belastungsfaktoren im industriellen Umfeld mache Investitionen in diesen Bereich zwingend notwendig: „Ich vermute, keiner der Punkte ist Ihnen neu“, sagte Schmidt, „trotzdem habe ich sie mal aufgezählt.“

Zu diesen Faktoren, die Automatisierung nötig machen, zählen

  • steigender Kostendruck,
  • der Mangel an Fachkräften im Shopfloor,
  • wachsende Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen,
  • Bürokratie,
  • der demografische Wandel sowie – als Diskussionspunkt –
  • eine „sinkende Arbeitsmoral“.
Gerade im DACH-Raum steigt bei produzierenden Unternehmen fortdauernd der Druck, Prozesse zu automatisieren.

Schmidt untermauerte diese Ausgangslage mit Daten zur Produktivität in Deutschland: Die trendmäßig abnehmende Produktivität je Erwerbstätigenstunde zeige deutlich, warum Unternehmen handeln müssen. Hinzu komme die Position Deutschlands bei den Lohnstückkosten im europäischen Vergleich und betonte: „Deutschland hat hier ein Problem.“

Industriehistorie und der Status quo

Anschließend nahm Schmidt das Publikum mit auf eine kurze Reise durch die industrielle Entwicklung – von der Dampfkraft über die Massenproduktion bis zur Industrie 4.0. Letztere sei nach wie vor eher Vision als Realität: „Ich darf relativ viele Fabriken besuchen und ich glaube, das Thema Industrie 4.0 ist noch längst nicht abgeschlossen.“

Cyberphysikalische Systeme, vollständige Vernetzung, digitale Zwillinge – all dies sei weiterhin selten vollständig umgesetzt.

Die nächste Entwicklungsstufe sei aus seiner Sicht die zunehmende Verschmelzung physischer Systeme mit Künstlicher Intelligenz. Humanoide Roboter seien hier lediglich die sichtbarste Manifestation dieser Entwicklung.

Bei agentischen Systemen kann man mit deutlich geringerem Invest schon gute Lösungen hervorrufen.

Simon Schmidt, Fraunhofer IPA

Digitale Automatisierung: Agentensysteme und KI-gestütztes Engineering

Simon Schmidt Senior Manager Business Unit Automated Intralogistic, Manufacturing and Assembly Systems, Fraunhofer IPA auf der Automation NEXT Conference.

Ein Schwerpunkt der Keynote lag auf dem Potenzial digitaler Automatisierung, insbesondere durch agentische KI-Systeme. Hier sah Schmidt einen schnellen Return on Investment: „Wenn Sie auf Ihrem Shopfloor eine neue Anlage hinstellen, kostet diese eine halbe Million und mehr. Bei agentischen Systemen kann man mit deutlich geringerem Invest schon gute Lösungen hervorrufen.“

Er präsentierte mehrere Beispiele: 

1. Auswertung globaler YouTube-Autotests

Ein Automobilkonzern lasse Videos aus verschiedenen Ländern automatisiert transkribieren und durch KI analysieren. So könne das System darstellen, „was die Menschen gut finden, was schlecht und was das für uns als deutschen OEM bedeuten könnte“.

2. Lieferkettenüberwachung per Satellitendaten

Ein Fraunhofer-Projekt wertete Schiffsverkehr aus, um potenzielle Engpässe – wie einst im Suezkanal – früh zu erkennen.

3. Analyse internationaler Nachrichten zur Risikoerkennung

KI-basierte Systeme lesen globale Nachrichtenströme und filtern Hinweise auf Pandemien oder politische Ereignisse heraus, die Lieferketten beeinflussen könnten.

4. KI-gestützte Optimierung von Engineering-Prozessen

Schmidt zeigte, wie Produktentwickler oder Produktionsplaner durch digitale Tools Unterstützung erhalten:

  • automatische Layoutvorschläge für Fabriken,
  • Optimierung kompletter Roboterzellen inklusive Taktzeiten,
  • KI-gestützte Risikobeurteilung für Roboteranlagen,
  • automatische Generierung von Montagereihenfolgen aus CAD-Modellen.

Systeme wie jene von Asentio errechnen beispielsweise Montagefolgen auf Basis von Kollisionsprüfungen – „ein erster Schuss“, der Arbeitszeit reduziert.

Physische Automatisierung: Modellfreies Greifen und Prozessoptimierung

Auch im Bereich realer, physischer Automatisierung präsentierte Schmidt Fortschritte:

Modellfreies Greifen

Roboter greifen unbekannte Teile in chaotischen Kisten – ohne ERP-Daten, ohne Vorwissen –, derzeit etwa 1.500 Picks pro Stunde.

Qualitätssicherung bei Audi

Gemeinsam mit Audi entwickelte Fraunhofer ein System, das Widerstandspunktschweißungen automatisiert prüft. Prozessdaten, Ultraschallmessungen und Expertenwissen flossen in ein Machine-Learning-Modell ein. Ergebnis: „100 % Kontrolle mit 30 % weniger manuellen Prüfungen.“

Adaptive Laserschneidanlagen bei Trumpf

Auch Trumpf setzt auf selbstoptimierende Maschinen: Die Anlagen passen bei sinkender Schnittqualität ihre Parameter an, bevor es zu Ausschuss kommt.

Humanoide Robotik: Ein Blick in die Zukunft

Eine Zäsur in der Keynote bildete ein Video von Google, das Schmidt als Beispiel für vernetzte KI-Ökosysteme präsentierte. Im Video sortiert ein Roboter Müll anhand der Abfallregeln der Stadt San Francisco – inklusive automatischer Recherche dieser Regeln.

„Man sieht hier verschiedenste Systeme, die im Hintergrund miteinander verknüpft sind“, erläuterte Schmidt: Weltwissen, Bildverarbeitung, Lokalisierung und Aktorik greifen ineinander.

Ist Embodied AI die Chance für die deutsche Industrie?

Im Kern der Keynote stand das Konzept der Embodied AI, das Schmidt als zentrale Zukunftstechnologie für die deutsche Industrie bezeichnete.

Der Grundgedanke: „Intelligenz entsteht nur durch Interaktion mit der physischen Welt.“ Embodied AI vereine daher KI mit Maschinen, Robotern und physischen Systemen.

Warum Embodied AI eine Chance für Deutschland ist

Deutschland verfüge über zwei entscheidende Ressourcen:

  1. Implizites Domänenwissen aus Jahrzehnten industrieller Erfahrung – tief verankert in Hidden Champions und Fachkräften.
  2. Reale, hochwertige Produktionsdaten – etwas, das international nicht selbstverständlich sei.

„Die Chinesen können Daten generieren“, kommentierte Schmidt, „aber das hat längst nicht die Qualität, die reale Daten haben.“

Wichtig sei allerdings, dieses Wissen zu explizieren, zu digitalisieren und nutzbar zu machen. Denn viele entscheidende Fertigungsprozesse existieren nur „im Kopf der Mitarbeitenden“ – häufig älterer Experten, deren Wissen nicht ohne weiteres gesichert sei.

Schmidt erwähnte deutlich, dass China aktuell sogenannte Datenfabriken aufbaut, in denen Roboter reale Aufgaben lernen, um Trainingsdaten zu erzeugen: „Die werden nicht warten auf uns.“ Europa müsse daher rasch handeln, um seine Vorteile zu nutzen.

Konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Zum Abschluss gab Schmidt Empfehlungen für erste Schritte:

  1. End-to-End-Prozessanalyse durchführen – vom Order-to-Cash-Prozess bis zum Shopfloor. – Ist- und Soll-Zustände definieren.
  2. Identifizierte Lücken priorisieren – nach Kosten-Nutzen-Potenzial sortieren. – kleine, leicht automatisierbare Schritte zuerst.
  3. Automatisierbarkeit bewerten – mit externer Hilfe, wo sinnvoll.
  4. Pilotprojekte starten – „Bitte einfach machen“, appellierte Schmidt. – Nicht jedes Projekt werde gelingen, aber Stillstand sei riskanter.

Schmidt schloss mit einer klaren Botschaft: Die Verbindung aus Hardware und KI sei ein zentrales Zukunftsfeld. Unternehmen sollten nicht warten, sondern jetzt beginnen, Daten zu nutzen, Wissen zu digitalisieren und erste KI-basierte Schritte in der Automatisierung zu gehen.

„Wenn Sie bis heute noch nicht richtig losgelegt haben, dann wird es Zeit“, fasste er zusammen.

Die Kernaussagen zur Zukunft der Automatisierung

Warum ist Automatisierung für Unternehmen derzeit unvermeidbar?

Mehrere Faktoren erhöhen den Druck auf Unternehmen: zunehmender Kostendruck, Fachkräftemangel insbesondere in gewerblichen Bereichen, hohe Qualitätsanforderungen, Bürokratie, demografischer Wandel und eine veränderte Einstellung zur Arbeit. Zusätzlich verschärfen internationaler Wettbewerb und globale Lieferkettenkonflikte die Situation. Um Produktion in Deutschland zu halten, sieht Schmidt Automatisierung als zwingend an.

Welche Rolle spielen die industriellen Revolutionen im aktuellen Kontext?

Schmidt skizzierte den Weg von der Dampfkraft über Massenproduktion und Elektronik hin zu Industrie 4.0. Er beschreibt Industrie 4.0 als noch nicht abgeschlossen. Die nächste Entwicklungsstufe sieht er in der Verschmelzung physischer Systeme mit KI, etwa bei humanoiden Robotern oder hochflexiblen, intelligenten Produktionslösungen.

Wie unterscheiden sich frühere und heutige Automatisierungslösungen?

Frühere Lösungen waren auf hohe Stückzahlen und klare Strukturen ausgelegt. Heute ermöglichen KI-basierte Systeme mehr Flexibilität: etwa das modellfreie Greifen oder das Arbeiten in unstrukturierten Umgebungen. Die Basis verschiebt sich von Hardware hin zu Software und KI.

Was versteht man unter Embodied AI?

Embodied AI kombiniert KI mit physischer Interaktion. Intelligenz entsteht hier erst durch das Wirken in der realen Welt. Beispiele sind autonome Fahrzeuge oder Drohnen. Schmidt sieht darin die nächste Stufe der KI-Entwicklung.

Warum könnte Embodied AI eine besondere Chance für Deutschland sein?

Deutschland verfügt über:

  1. Domänenwissen („Hidden Champions“ mit spezialisiertem Prozesswissen).
  2. Reale Produktionsdaten aus echten Versuchen und Anlagen.
  3. Die Möglichkeit, dieses Wissen zu digitalisieren, um KI-Modelle zu trainieren.

Diese Kombination lässt sich international schwer kopieren und kann Wettbewerbsvorteile schaffen.

Welche Handlungsempfehlungen gibt es für Unternehmen, die Prozesse automatisieren wollen?

  1. End-to-End-Prozessanalyse: Alle Prozesse von Auftrag bis Auslieferung untersuchen und Ist/Soll definieren.
  2. Priorisieren: Gaps nach Aufwand und Nutzen bewerten und sortieren.
  3. Unterstützung nutzen: Beratung oder externe Expertise einholen, um die automatisierbaren Prozesse zielgerichtet zu identifizieren.

Einfach anfangen: Pilotprojekte starten, ausprobieren und lernen. Warten verzögert notwendige Transformation.