Zwischen Inspektion und Spionage
Multikopter erobern die Industrie
Flugroboter werden den Arbeitsalltag der Menschen verändern. Schon heute fliegen Drohnen mit Infrarotkameras über Industrieanlagen, um diese zu inspizieren. Gleichzeitig wächst für Industrieunternehmen die Gefahr von Drohnen ausspioniert zu werden.
Die Hannover Messe 2016 hatte im Bereich Multikopter einiges zu bieten. So waren auf der Leitmesse Research and Technology Flugroboter zu sehen, die in Zukunft bei Rettungseinsätzen in Folge von Naturkatastrophen eingesetzt werden sollen. Aber auch im industriellen Bereich gibt es viele Anwendungsfelder und Applikationensmöglichkeiten. Mittlerweile sind zahlreiche Dienstleister im Bereich der industriellen Gebäude- und Anlageninspektion aktiv. Darüber hinaus kommen die fliegenden Roboter auch bei Vermessungsarbeiten und in für den Menschen gefährlichen Umgebungen, wie Kernkraft- und Stromanlagen, zum Einsatz und reduzieren so die Risiken für Mitarbeiter und Inspektoren. Auch in der Landwirtschaftstechnik wird unter dem Stichwort Landwirtschaft 2.0 darüber nachgedacht in Zukunft punktgenau durch zivile Drohnen düngen zu lassen. All diese Beispiele zeigen eines: Da ist noch viel Luft nach oben!
Vorteile des Inspektionskopters
Cyberhawk, ein Dienstleister für Industrieinspektionen via Multikopter, kann mit einem beeindruckenden Kundenportfolio aufwarten. Die Kundenliste des britischen Unternehmens liest sich wie das Who-is-Who der Ölindustrie. Die Problemstellung dort: Große Förderplattformen mussten bislang kosten- und zeitintensiv durch Industriekletterer inspiziert werden. Im Fokus der Einsätze steht nicht nur die Überprüfung von Stützpfeilern und Bauteilen der Bohrinseln, sondern auch die Untersuchung von Rohren, Leitungen und Kaminen auf Leckagen und Risse. Hier ist der Einsatz von Multikoptern vergleichsweise kostengünstig und weniger zeitintensiv als beim Einsatz von Industriekletterern.
Neues Terrain beflog Cyberhawk dieses Jahr bei einer Innenrauminspektion in einem Heizkessel. Auch hier waren, laut Angaben des Unternehmens, bisher Industriekletterer zum Einsatz gekommen. Bei der Innenrauminspektion bestand die Herausforderung darin, ohne empfangbares GPS-Signal den Flugroboter auf Sicht nahe an die Innenwände des Kessels zu steuern, um dort punktgenau Risse und Mängel zu detektieren. Hier spielen die Flugsysteme auch ihren Vorteil aus, detaillierte Live-Bilder von unzugänglichen Stellen liefern zu können — ob Outdoor oder Indoor. Kostenintensive Gerüste und risikoreiche Klettereinlagen werden da obsolet.
DHL testet fliegende Paketzustellung
Mehr als Inspektion
Schlagzeilen macht derzeit auch die Meldung des deutschen Paketzuliferers DHL der Deutschen Post. Der Einsatz von Paketdrohnen wird aktuell auch von Amazon in den Vereinigten Staaten getestet. Problematisch ist das derzeit jedoch, weil es sich um unbemannt autonom agierende Flugroboter handelt. Inwiefern ist das von Interesse für Industrie und Maschinenbau? Forscher an der Hochschule in Ulm arbeiten derzeit an einem System, dass es ermöglichen soll, die Automatisierung in Werkhallen mit Hilfe der Flugroboter weiter voranzutreiben. Die Idee der Wissenschaftler ist es, Arbeitschritte weiter zu automatisieren, indem Komponenten in Lager oder Produktionslinie zukünftig von Lastenfliegern transportiert werden können, statt durch ein kompliziertes System von Trägersystemen.
Dazu müssen die Systeme der Flugroboter jedoch noch weiter verbessert werden. Zum einen ist die Auslegung der Multikopter hinsichtlich der maximalen Nutztraglast derzeit relativ gering, zugleich muss auch in Safty-Fragen überlegt werden, inwiefern der Einsatz von Lastdrohnen sinnvoll realisiert werden kann. Darüber hinaus fällt das im Gelände unterstützende GPS zur genauen Positionierung in Gebäuden als Steuerungsgrundlage aus. Professor Steiper vom Institut für Informatik an der Hochschule Ulm sieht die Lösung für diese Problematik in der Anlage einer 3D-Karte für die Einsatzumgebung, damit in Zukunft Drohnen autonom im Sinne Mensch-Maschine-Interaktion im Betrieb mitarbeiten können.
Auch wenn in Zukunft zunehmend UAVs die Inspektionsaufgaben in der Industrie übernehmen, sind derzeit professionelle und kompetente Piloten notwendig, um die Hightechflieger sicher zu bedienen. Zugleich gilt ebenfalls, dass Roboter in erster Linie Aufgaben übernehmen sollen, die für den Menschen sehr schwer beziehungsweise nur mit Risiko zu bewältigen sind. Drohnen mit Inspektionsaufgaben generieren große Mengen an Bilddaten, die von Experten ausgelesen und analysiert werden müssen, um deren Aussagekraft zu beurteilen. Auch hier kommt das bewährte Vier-Augen-Prinzip zur Anwendung, allerdings besteht ein Teil der Augen nun wohl aus technischen Linsen. Darin liegt die Chance für Dienstleister, die für die industrielle Produktion Wartungsaufgaben übernehmen und ihre Ergebnisse schnell und in Echtzeit in die unternehmenseigene IT-Infrastruktur einbinden können. Es zeigt darüber hinaus, dass Unternehmen aus der Automatisierung in diesem Bereich neue Einsatzfelder finden.
Neues Geschäftsfeld für Kamerahersteller
Das zunehmende Interesse für Inspektionstechnologie aus der Luft bietet auch den Herstellern von industriellen Kameras neue Optionen. Die Unternehmen können hier die Erfahrung mit besonders anspruchsvollen Anforderungen aus den Anwendungen in den Industrieanlagen einbringen. So ist findet sich in den Cyberhawkdrohnen die Infrarotkamera Tau 2 640 des Optikspezialisten Flir. Ascending Technologies, der Hersteller der Flugroboter, hat für die Kamera von Flir im eigenen Haus einen Rohdatenlogger entwickelt, der synchron JPEG-Dateien und georeferenzierte 14-Bit-Thermalbilder ausgibt. Mit der Infrarotkamera Flir Tau 640 und dem Rohdatenlogger detektiert das System bei einer Auflösung von 640 mal 512 Pixel zudem sehr kleine Defekte aus großer Entfernung. So können beispielsweise Photovoltaik- und Solaranlagen detailgenau auf Fehler hin untersucht werden. Das Besondere ist, dass durch die Kombination mit einer handelsüblichen Digitalkamera zeitgleich Farbbilder und georeferenzierte Bilder entstehen. Das ist effizient, denn die Informationen zur punktgenauen Position, Zeiterfassung und Ausrichtung werden mit dem Bildmaterial kombiniert. Durch einmaliges Überfliegen des zu untersuchenden Objekts produziert das System so umfassende und detailgenaue Informationen für die Analyse. Die Idee hinter der Tau-Serie von Flir war es, hochauflösende Bildgebung zu ermöglichen und zugleich das Gewicht der Kamera niedrig zu halten. Damit zielt das Unternehmen direkt in den Multikoptermarkt. Denn die Flugroboter transportieren nur geringe Nutzlasten.
Immer leichter und kleiner
Genau für diesen Markt wurde auch die Boson von Flir entwickelt. Die Kamera soll die Anbindung an UAV-Anwendungen weiter unterstützen. Wie? Auf dem verbauten Multicore-Vision-Prozessor läuft die hauseigene Infrarot-Video-Verarbeitungssoftware. Diese macht es möglich, durch Algorithmen die Auflösung zu verbessern, Rauscheffekte zu mindern und durch Bearbeitung der Kontraste eine hochwertige Bildqualität zu realisieren. Durch die Kompatibilität mit anderen Sensoren, wie beispielsweise CMOS-Bildsensoren, GPS-Systemen und Inertialmesseinheiten werden weitere Verarbeitungsfunktionen integriert.
Aber nicht nur bei Flir hat man verstanden, welches Potenzial in den neuen Aufgaben liegt. Weiterentwicklungen gibt es auch bei der ebenfalls auf Kameratechnologien spezialisierten Firma Optris. Auf der Hannover Messe präsentierte das Unternehmen die Optris PI Light-Weight zur Inspektion von PV-Anlagen. Das Kit besteht aus einem Minicomputer und einer Infrarotkamera. Um die Nutzlast der Flugroboter gering zu halten, wurde hier besonders auf das Gewicht geachtet. Die beiden Komponenten wiegen gerade einmal 380 Gramm und sind so mit kleinen Flugrobotern mit geringer Nutzlastauslegung kompatibel. Damit können vollradiometrische Videoaufnahmen realisiert und mit Hilfe des lizenzfreien Analyse-Tools Software PI Connect hochauflösende Einzelbilder dargestellt und analysiert werden.
Spionage durch Flugroboter
In der Entwicklung zu immer kleineren und leichteren Drohnen, die mit Kameras und Nutzlast ausgestattet werden können, liegt jedoch auch Gefahrenpotenzial. Offensichtlich wurde das, als bei einer politischen Veranstaltung 2013 in Dresden minutenlang ein Multikopter vor Kanzlerin Merkel schwebte. Das war der Auslöser für die Gründer von Dedrone, ein System zur Abwehr von schädlichen Drohnen zu entwickeln. Relevant für die Industrie ist das Thema Abwehrtechnologie deshalb, weil sich durch die Flugkörper beispielsweise neue Formen der Industriespionage herausbilden können.
Hinter dem Chassis, das mit seiner X-Form an einen Multikopter erinnert, stecken einige Sensoren, um die anfliegenden Spione zu orten. So wird visuell über ein Bildanalysesystem die Silhouette und das Flugverhalten der Multikopter detektiert. Nachts übernimmt eine Infrarotkamera die visuelle Überwachung. Hinzu kommt, dass akustische Signale, auch im Ultraschallbereich, aufgenommen und abgespeichert werden. Aufgerüstet wurde die neueste Generation der Dronetracker mit einem Wi-Fi-Sensor.
Der eigentliche Clou liegt aber in der Softwarelösung hinter den Geräten. Denn Dedrone baut auf Basis der anfallenden Sensordaten ein Register auf, mit dem die verschiedenen Multikopter identifiziert werden sollen. Eingespeist die Bilder und die Hochfrequenzen der Motorsteuerungen. Verknüpft mit den technischen Daten der Flugroboter ergeben sich daraus passgenaue Profile für jedes Drohnenmodell.