Interview mit Lenze und SKF

"Retrofit? Maschinenbauer sollten uns früh ins Boot holen"

Retrofit - Tipps & Tricks
Sprechen über die nächsten Modernisierungsprojekte: Hornschuch-Instandsetzungsleiter Peter Posnanski (links) und Ralf Güthoff vom Lenze Service.

Das Retrofit-Geschäft ist längst auch für Maschinenhersteller interessant. Expertenwissen kommt mitunter von Motorenspezialisten wie Lenze oder Lager- und Getriebebauern wie SKF. ke NEXT hat nachgehakt, worauf es ankommt.

Wann sollten sich Anwender für einen Retrofit entscheiden und wann ist die Investition in eine neue Anlage am Ende doch die bessere Wahl?

Ralf Güthoff, Lenze: Die einen nennen es Modernisierung, die anderen sprechen von Retrofit, Dritte wiederum von vorbeugender Instandhaltung. Was dabei allen gemein ist: ihre Maschinen und Anlagen sollen möglichst lange verlässlich und mit gleichbleibender Qualität produzieren. Retrofit oder –wie wir bei Lenze es nennen– eine Modernisierung ist also immer dann sinnvoll, wenn der Maschinenbetreiber mit der Performance seiner Maschine oder Anlage grundsätzlich zufrieden ist, jedoch deren Lebenszyklus verlängern möchte. Steigende Stillstandszeiten sind ein wesentlicher Indikator dafür, dass es Zeit ist, über eine Modernisierung nachzudenken. Dabei ist es egal, ob es sich um geplante Maintenance oder unerwartete Komplikationen handelt. Die Dokumentation der Fehler und Maßnahmen bildet zugleich die Grundlage für die anstehenden Investitionsgespräche mit einem Partner, wie zum Beispiel Lenze. Eine Analyse deckt schnell die notwendigen Handlungsfelder auf. Sollen beispielsweise die Performance signifikant gesteigert, die Maschinen flexibler oder wesentlich energieeffizienter werden, dann wird es sich lohnen über komplett neue Konzepte – also die Investition in eine neue Anlage oder Maschinen- nachzudenken.

Ralf Güthoff, Lenze-Service
Ralf Güthoff, Lenze-Service, berät Maschinenbauer und Anwender zum Thema Retrofit.

Hannes Leopoldseder, SKF: Diese – auch von unseren Kunden sehr häufig gestellte – Frage lässt sich im Grunde nicht pauschal beantworten; aber zur groben Orientierung: Bei neu zu konstruierenden Anlagen oder stark modifizierten Systemen bietet sich eher ein maßgeschneidertes Neu-Produkt an. Bei Bestandsanlagen oder geringfügigen Modifikationen an vorhandenen Systemen reicht beispielsweise ein rekonditioniertes Wälzlager in aller Regel vollkommen aus. Unter dem Strich profitiert der Anwender bestimmt am meisten von einem gesunden Mix aus Neuinvestition und Retrofit.

Mit welchen Anforderungen und Problemen kommen Anwender auf Sie zu?

Ralf Güthoff, Lenze: Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Die einfachste Anforderung ist, einzelne Komponenten 1:1 auszutauschen. Hier liefern wir lediglich das passende Produkt. Allerdings gibt es hier Grenzen. Nämlich dann, wenn die ursprünglich eingesetzte Antriebstechnik nicht mehr verfügbar, weil bereits abgekündigt, oder sie technologisch veraltet ist. Dann ist die Umstellung auf ein neues Produkt notwendig. In anderen Fällen möchte der Kunde seine Mechanik bestehen lassen, aber die Steuerung überarbeiten. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die neuen Technologien Bussysteme nicht mehr unterstützen. Geht man diesen Schritt, dann ist es allerdings sinnvoll, gleich das ganze Antriebs- und Automatisierungskonzept zu überdenken. Denn mit einem neuen Steuerungskonzept lassen sich wesentliche Potenziale heben, wie die Steigerung der Performance oder der Energieeffizienz der Anlage. Bei solchen umfassenden Modernisierungen unterstützen unsere erfahrenen Engineering-Experten.

Hannes Leopoldseder ist Business Unit Manager Industrial Services Centre bei SKF Österreich.
Hannes Leopoldseder ist Business Unit Manager Industrial Services Centre bei SKF Österreich.

Hannes Leopoldseder, SKF: Eine der derzeit wichtigsten Anforderungen seitens der Kunden ist es, die Betriebs- oder Wartungskosten ihrer Anlagen zu reduzieren. Und durch eine ganzheitliche Betrachtung der Situation ist hier einiges möglich: Der Stahlkonzern Arcelor Mittal beispielsweise hat schon mal Kostensenkungen in Höhe von circa zwei Millionen Euro erzielt, indem er auf rekonditionierte Lager umstieg und außerdem von deutlich reduzierten Stillstandszeiten durch ein besseres Ersatzlager-Management profitierte. Dank der geringeren Kosten für die Instandhaltung und der Austausch-Lager bei zugleich gesteigerter Zuverlässigkeit der Anlagen erzielte Arcelor Mittal einen enormen Return on Investment.

Auch immer mehr Maschinenbauer – zum Beispiel Werkzeugmaschinenhersteller – bieten mittlerweile Retrofit-Leistungen an. Was können diese von Komponentenherstellern lernen?

Ralf Güthoff, Lenze: Durch unsere 70-jährige Erfahrung wissen wir genau, welches die einfachste und beste Lösung für einen neuen Automatisierungsstrang ist. Insbesondere unsere große Lösungskompetenz in den spezifischen Anwendungen hilft hierbei, das richtige und kosteneffizienteste Umsetzungsmodel zu realisieren. Wir verstehen und als Partner unserer Kunden. Somit steht unser spezifisches Fachwissen rund um die Automatisierung natürlich auch unseren Kunden aus dem Maschinenbau zur Verfügung. Wir unterstützen bei der Auslegung der Antriebstränge oder auch bei der Inbetriebnahme und bieten zudem Produkt- und Applikationsschulungen an.

Hannes Leopoldseder, SKF: Selbst die modernste Maschine beinhaltet naturgemäß viele Verschleißteile. Warum, wodurch und wie genau diese Teile in welcher Anwendung in welchem Zeitverlauf verschleißen, wissen Komponenten-Zulieferer wie wir am besten. Ergo macht es Sinn, dass die Maschinenbauer einen Komponentenhersteller wie SKF ganz früh ins Boot holen, um den Verschleiß von vorn herein so weit wie irgend möglich zu minimieren und die spätere Retrofit-Effektivität und -Effizienz so weit, wie irgend möglich zu steigern. SKF pflegt zu diesem Zweck sehr enge Beziehungen zu den Kunden; seien es nun Anwender oder Hersteller. Wir tauschen uns mit diesen Partnern offen über Rekonditionierungsmöglichkeiten aus und merken, dass dieses Thema in Bezug auf Wälzlager immer mehr als Alternative zum Neulager wahrgenommen wird – speziell aus Kostensenkungsgründen. Im Rahmen von Instandhaltungsstrategie-Beratungen schulen wir unsere Kunden auch entsprechend.

SKF: Wiederaufbereitung eines Getriebes
Wiederaufbereitung eines Getriebes: SKF pflegt für das Retrofit enge Beziehungen mit Anwendern und Herstellern.

Wie Industrie 4.0 das Retrofit-Geschäft beeinflusst

Antriebsregler von Lenze aus den 80er-Jahren
Immer noch verlässlich in Betrieb: Antriebsregler von Lenze aus den 80er-Jahren.

Inwieweit beeinflusst Industrie 4.0 und die Digitalisierung der Industrie das Retrofit-Geschäft?

Ralf Güthoff, Lenze: Das ist ein ganz wesentlicher Trend, der sich insbesondere im Bereich Remote-Support niederschlägt. Für den Anlagenbetreiber kommt es bei einer Störung der Anlage auf jede Minute an. Der direkte Zugriff auf den Service-Techniker von Lenze ist bei der schnellen Fehlerbehebung wesentlich. Zur Unterstützung setzen wir ein Software-Tool ein, mit dem der Betreiber gezielt ein Service-Ticket absetzt. Über dieses bekommt der Lenze-Techniker auf direktem Weg alle nötigen Informationen über die Störung, kann sich kurzfristig auf die Anlage schalten und mit dem Instandhalter oder dem Maschinenbediener ein Lösungs-Szenario abarbeiten. Unterstützt wird dieser Prozess durch einen digitalen Zwilling, mit dem wir die Anlage schon im Vorfeld simuliert haben. Dies ermöglicht den sofortigen Zugriff auf alle relevanten Dokumentationen, Schaltpläne und Programme. Der Instandhalter kann so zukünftig Störungen auch selbständig lösen oder dem Maschinenbauer parallel Zugriff gewähren. Natürlich kann auch eine Dreiecks-Konferenz von Betreiber, Maschinenbauer und Lenze sichergestellt werden - ohne dass ein Servicetechniker vor Ort sein muss.

Hannes Leopoldseder, SKF: Retrofit und Modernisierung gehen ja im Grunde Hand in Hand. Also ist Industrie 4.0 auch in diesem Bereich ein wichtiges Thema: Wer ein Wälzlager ersetzt – gleichgültig, ob es sich um ein neues oder ein wiederaufgearbeitetes handelt –, sollte dessen Funktion überwachen (lassen), um ungeplante Stillstände zu vermeiden. Eine solche Überwachung verlangt nach Sensoren. Deren Messwerte können SKF Experten via Cloud analysieren – rund um den Globus, rund um die Uhr. Bei Abweichungen von definierten Grenzwerten können wir den Anwender dadurch extrem frühzeitig warnen und wirksame Gegenmaßnahmen empfehlen. Anders ausgedrückt: In Zeiten von „Industrie 4.0“ kann eine weitsichtige Retrofit-Maßnahme wie eine Art „Versicherung“ gegen teure Produktionsausfälle wirken.

Fassen Sie bitte kurz zusammen: Welche Retrofit-Leistungen bieten Sie an? Und an wen richten sich diese?

Ralf Güthoff, Lenze: Lenze bietet ein abgestuftes Servicemodell, welches aus skalierten Leistungsmodulen besteht. Es beginnt mit einer Bestandsaufnahme im Rahmen einer Inspektion. Dabei werden die Maschinenverfügbarkeit und die Lieferfähigkeit eventueller Auslaufartikel transparent gemacht. Im nächsten Schritt folgt die Maschinenanalyse. Sie setzt auf die Bestandsaufnahme auf und geht weiter ins Detail, um beispielsweise Energieeinsparpotenziale zu erkennen, Schwachstellen oder Risiken aufzudecken und wertvolle Leistungsreserven zu erschließen. Hierbei untersucht Lenze elektronische und elektromechanische Antriebs- und Steuerungselemente unter besonderer Berücksichtigung funktionskritischer Schlüsselkomponenten. Eine Modernisierung muss nicht automatisch den Einbau neuer Technik zur Folge haben. Ein mögliches Resultat der Analyse kann der 1:1-Austausch von Komponenten sein, die aufgrund langer Betriebszeiten das Ende ihrer Lebensdauer erreichen. Der Ersatz Alt gegen baugleich Neu – hat das Ziel, den Lebenszyklus einer Maschine zu verlängern, ohne dabei in das Engineering einzusteigen oder Schnittstellen anpassen zu müssen. Weil Lagerressourcen für Ersatzteile in der Regel begrenzt sind, übernimmt Lenze immer häufiger die auf ein Unternehmen abgestimmte Bevorratung der sofort abrufbaren, einbaufertigen Technik.

Sollen alte Antriebsregler durch eine aktuelle und damit modernere wie leistungsstärkere Gerätegeneration ersetzt werden, bietet Lenze Integrations- und Engineeringunterstützung an. Dazu gehören z.B. Schnittstellenprogrammierungen, konstruktive Anpassungen im Schaltschrank oder auch Feineinstellungen der eingesetzten Software.

Die höchste Servicestufe umfasst die komplette Modernisierung der Steuerung und Antriebstechnik, bis hin zu den Motoren und Getrieben. Hierbei zahlt sich eine langjährige partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Lenze aus. Denn je genauer das Service-Team die Funktion und Besonderheiten einer Anlage kennt, desto besser. Die entstehende Lösung ist dann genau auf die Anforderungen des Kunden zugeschnitten und das Engineering kann so möglichst einfach gestaltet werden.

Hannes Leopoldseder, SKF: Die Firma SKF beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahrzehnten mit dem Thema Retrofit – und zwar in Form des Rekonditionierens von Wälzlagern, Werkzeugmaschinenspindeln oder auch Getrieben. Wiederaufgearbeitete Wälzlager bieten wir unter anderem für die Metall-, Papier-, Zement- oder auch Eisenbahn-Industrie an. Hinzu kommt der Energie-Bereich; also beispielsweise Windenergieanlagen. Für Werkzeugmaschinenspindeln haben wir eine regelrechte Life Cycle Management-Dienstleistung im Programm. Unsere Services für Getriebe nehmen diverse Industriezweige in Anspruch.

Hornschuch investiert am Standort Stolzenau kontinuierlich in die Modernisierung der Produktionsanlagen.
Hornschuch investiert am Standort Stolzenau kontinuierlich in die Modernisierung der Produktionsanlagen.