Nur mit einem perfekten Zusammenspiel von Hardware und Software lassen sich die Potenziale der Robotik heben.

Nur mit einem perfekten Zusammenspiel von Hardware und Software lassen sich die Potenziale der Robotik heben. (Bild: stock.adobe.com - Harsha)

Seit Jahren prognostizieren Experten den Einzug von Robotern in den Alltag. Humanoide Roboter meistern inzwischen Parcours-Strecken, die für Menschen schwer überwindbar scheinen. Dass Aufgaben wie Rasenmähen und Staubsaugen inzwischen von autonomen Geräten übernommen werden, ist Standard. Nur in der Industrie, insbesondere im Mittelstand, liegt die Robotik noch im Tiefschlaf und das Potenzial bleibt weitestgehend unausgeschöpft. Warum? Dafür gibt es im Wesentlichen vier Gründe:

1. Hohe Betriebskosten trotz gesunkener Anschaffungskosten: Über die Jahre sind die Anschaffungskosten für Roboter-Hardware gesunken. Dennoch folgen hohe Betriebskosten, etwa für die initiale Programmierung oder Anpassung von bestehenden Roboterprogrammen an sich verändernde Prozesse. Je kleiner die Losgröße, desto höher der Aufwand. In etwa entfallen 75 % der sogenannten Total Cost of Ownership für eine Roboterzelle auf operative Kosten wie beispielsweise die Programmierung. Das macht Automatisierung vor allem für die Firmen wirtschaftlich attraktiv, die – wie zum Beispiel die Automobilindustrie – typischerweise low-mix-high-volume produzieren. Für den mittelständischen Schreiner mit 30 Angestellten lässt sich so kein ROI erzielen.

2. Knappheit an Programmierexperten: Die Zahl der weltweit verfügbaren Experten für die Roboterprogrammierung ist verschwindend gering im Vergleich zur Gesamtzahl der Softwareentwickler. Von rund 27 Mio Softwareentwicklern verfügen nur etwa 0,2 % über die notwendigen Fähigkeiten, Roboter zu programmieren. Nur große Firmen können solche Mitarbeitende in ihren eigenen Reihen beschäftigen, was zur Folge hat, dass für jede Prozessanpassung Dienstleister beauftragt werden müssen, die schwer verfügbar sind und am umkämpften Ressourcenmarkt ihre Tagessätze entsprechend justieren können.

3. Fehlende Standardisierung der Programmiersprachen: Diese circa 50 000 Roboterexperten können längst nicht alle Robotertypen programmieren, da heute jeder Roboterhersteller seine eigene, proprietäre Programmiersprache verwendet. Es gibt heute keine Lösung, die es ermöglicht, herstellerübergreifende Software für Roboter zu entwickeln und breit auszurollen.

4. Veraltete Programmiersprachen: Viele der in der Robotik verwendeten Programmiersprachen stammen aus den 90er-Jahren und sind teilweise bereits vor Jahren aus der Lehre verbannt worden. Diese veralteten Systeme sind nicht nur weniger effizient und leistungsfähig, sondern auch weniger attraktiv für junge Softwareentwickler, die lieber mit modernen, innovativen Technologien arbeiten.

In den vergangenen Jahrzehnten sind Forschung und Entwicklung in weiten Teilen in die Weiterentwicklung von Roboterhardware geflossen. Präzisere Sensorik, größere Reichweiten, höhere Traglasten sind unter anderem die Ergebnisse. Die Software blieb weitestgehend unangetastet. Wenn doch Aufwand in die Weiterentwicklung floss, dann homöopathisch und vor allem: herstellerspezifisch. Ein universelles Betriebssystem, das eine einzigartige User Experience und einfache Erweiterungsmöglichkeiten für individuelle Bedarfe durch die Anwender selbst vereint, wird dieses Potenzial heben und die Robotik endlich demokratisieren.

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Ein schier unangetastetes Potenzial

An Gründen, diese Barrieren aufzubrechen, mangelt es indes nicht. Neben der gewöhnlichen Motivation für die Einführung neuer Technologien – Steigerung der Effizienz durch Kostensenkung oder Ertragserhöhung – hat Automatisierung das Potenzial ein viel fundamentaleres Problem zu beheben: den Fortbestand eines Unternehmens. Der Großteil zu einer Volkswirtschaft wird durch mittelständische Betriebe beigetragen, während genau da der Automatisierungsgrad noch im einstelligen Prozentbereich liegt.

Vielen dieser Unternehmen geht es nicht vorrangig darum, den letzten Prozentpunkt Effizienz aus ihrer Firma herauszukitzeln, sondern teilweise über Generationen geführten Betrieben überhaupt eine Zukunft zu ermöglichen. Der demografische Wandel sorgt einerseits schon dafür, dass die Anzahl nachkommender Arbeitskräfte geringer ist, andererseits sind die Attraktivität des Jobs und die viel diskutierte work-life-balance wichtige Kriterien, mit denen Arbeitgeber neue Fachkräfte gewinnen. Anders ausgedrückt: Die Bereitschaft von Menschen, unter widrigen Bedingungen immer wieder dieselben Aufgaben auszuführen, ist gesunken. Der Tischlerbetrieb im ländlichen Raum hat ähnliche Schwierigkeiten, neue Kollegen zu finden, die acht Stunden am Tag exzellente Qualität beim Schleifen von Holz abliefern wie der Bäckereibetrieb, 2 Uhr nachts Teigrohlinge zu kneten, die am frühen Morgen die Kundschaft glücklich und satt machen sollen.

Doch sind es genau diese wiederkehrenden Aufgaben, die sich mit heute verfügbarer Technologie schon ganz leicht automatisieren ließen. Der Bedarf dieser Firmen ist riesig, die Hürden mindestens ebenso hoch.

Eine Analogie aus der jüngeren Vergangenheit

Bis zum Anfang der 1990er-Jahre waren auch Computer nur Experten, meist aus Wissenschaft oder Militär, vorbehalten. „A Computer on every desk in every home“, war die frühe Vision von Microsoft, das einen großen Teil dazu beigetragen hat, dass man im Jahr 2024 weltweit von ungefähr 2 Mrd. verwendeten Computern aller couleur ausgeht und der Massenmarkt längst erreicht ist. Zu dieser steilen Adaptionskurve innerhalb der letzten 30 Jahre haben im Wesentlichen drei Paradigmen beigetragen:

● Grafische Benutzerschnittstelle: Solange der Nutzer nach dem Einschalten des PCs mit einem schwarzen Bildschirm und einem weiß blinkenden Cursor erfreut wurde, war der Experte gefragt, der das Gerät mit kryptischen Kommandos dazu gebracht hat, eine Aufgabe zu erfüllen. Mit dem Einzug eines grafischen user interface und einer Mouse konnte plötzlich jeder mit dem PC interagieren, Expertenkenntnisse waren für einfache Aufgaben wie Textverarbeitung nicht mehr notwendig.

● Universelles Treiberkonzept: Einzelne Komponenten unterschiedlicher Hersteller können durch mitgelieferte Treiber zu einem digitalen Arbeitsplatz miteinander verbunden werden. Ganz egal, für welchen Hersteller eines Druckers sich ein Nutzer entscheidet, der Dialog zum Drucken einer Seite Text sieht weitestgehend gleich aus. Genauso verhält es sich mit den allermeisten anderen Peripheriegeräten – technologische Barrieren, die aus der Verwendung verschiedener Komponenten von verschiedenen Herstellern resultieren, sind auf ein Minimum reduziert und ermöglichen die Auswahl des für seinen jeweiligen Zweck idealen Peripheriegerätes.

● Entwicklertools und -umgebungen: Längst ist ein Nutzer eines PCs nicht mehr gezwungen, ausschließlich die Software zu verwenden, die der Hersteller der Hardware mitliefert. Auf einem Laptop von Dell läuft die Bildbearbeitungssoftware von Adobe ebenso performant wie auf einem PC von Apple. Die Hardwarehersteller haben sich dafür geöffnet, dass Drittanbieter ihre Software auf ihrer Technologie zum Laufen bringen. Dafür stellen sie Programmierern die notwendigen Entwicklertools und -umgebungen zur Verfügung und – spätestens seit der Einführung von Appstores – sogar Distributionskanäle, über die selbst Privatpersonen eine riesige Anzahl potenzieller Kunden für ihre Programme erreichen und diese monetarisieren können. Win-win-win.

Die Demokratisierung der Robotik – ein universelles Betriebssystem für Roboter

Ein universelles Betriebssystem wird die genannten Barrieren aufbrechen, indem es eine standardisierte Plattform für die Programmierung und den Betrieb von Robotern bietet. Dies senkt nicht nur die Betriebskosten, sondern erhöht auch die Verfügbarkeit von Programmierern und kann die Innovationskraft in der Branche stärken. Die Theorie ist einfach, der Beweis im Bereich der Personal Computer erbracht. Vorteile eines universellen Betriebssystems:

● Einheitliche Programmiersprache: Durch die Einführung einer einheitlichen Programmiersprache, angelehnt an existierende Standards können Programmierer ihre Fähigkeiten auf eine breite Palette von Robotern anwenden, unabhängig vom Hersteller. Einsetzende Unternehmen können so aus einer Vielzahl von Hardware frei auswählen.

● Kostenreduktion: Durch die Standardisierung könnten Unternehmen die Kosten für Programmanpassungen und Ausbildung von Experten deutlich senken. Ein universelles Betriebssystem ermöglicht es, Software-Updates und Anpassungen zentral zu verwalten und auszurollen.

● Attraktivität für junge Entwickler: Moderne, innovative Technologien ziehen junge Entwickler an, die die Robotikbranche mit neuen Ideen und Ansätzen bereichern werden. Dies führt langfristig zu mehr Innovation und Fortschritt in der Robotik.

● Erhöhte Verfügbarkeit von Experten: Eine standardisierte Plattform ermöglicht es mehr Entwicklern, in der Robotik zu arbeiten, da die Hürde, neue Fähigkeiten zu erlernen, gesenkt ist. Dies würde den Markt für Robotikexperten erweitern und die Kosten für ihre Dienste senken.

Ohne ein universelles Betriebssystem mit einer exzellenten user experience wird die Robotik nie den Durchbruch zum Mainstream schaffen. Die hohen Betriebskosten, der Mangel an Experten, die Fragmentierung der Programmiersprachen und die veralteten Technologien stellen derzeit unüberwindbare Hürden dar. Ein universelles Betriebssystem wird diese Barrieren abbauen und die Robotik für eine viel größere Anzahl von Unternehmen und Anwendern zugänglich machen. Nur so kann das volle Potenzial der Automatisierung ausgeschöpft und die Robotik endlich demokratisiert werden.

Die Einführung eines solchen Systems wird durch die Zusammenarbeit und das Engagement von Herstellern, Entwicklern und politischen Entscheidungsträgern erleichtert. Es ist an der Zeit, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Robotik aus ihrem Nischendasein zu befreien und sie zu einem integralen Bestandteil unseres Alltags und der Industrie zu machen. Nur dann werden wir in der Lage sein, die Vorteile der Robotik voll zu nutzen und eine Zukunft zu gestalten, in der Roboter uns bei der Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts unterstützen.

Die Autoren:

Christian Piechnick (l.) und Stephan Hotz
Christian Piechnick (l.) und Stephan Hotz (Bild: Wandelbots)

Christian Piechnick ist CEO und Mitbegründer von Wandelbots. Die Idee für das Unternehmen entwickelte er während seines Studiums der Medieninformatik und Softwarearchitektur an der Technischen Universität Dresden mit seiner Frau Maria und vier weiteren Doktoranden. Gemeinsam gründeten sie das Deeptech Start-up 2017 aus der TU Dresden heraus. Mit seiner Vision, einfach zu bedienende, intelligente und vernetzte Apps für Roboter weltweit zu entwickeln, gewann er schnell Investoren für Wandelbots.

Stephan Hotz ist Chief Product Officer bei Wandelbots. Nach seinem Abschluss in International Business Administration an der Wirtschaftsuniversität Wien sammelte er Erfahrungen in verschiedenen Positionen, unter anderem als Produktmanager bei Delivery Hero, Verizon Telematics Inc., Atotech Deutschland GmbH und bei HP Inc. Seit 2023 ist er beim Deeptech Start-up Wandelbots für die Produktentwicklung verantwortlich.

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