Laut Umweltbundesamt (UBA) importiert Deutschland bis zu 90 Prozent aller angebotenen Textilien. Allein aus China und Bangladesch stammen laut Statistischem Bundesamt mehr als 40 Prozent der verkauften Kleidung. Zwar ist eine Ausweitung der Textilproduktion in Deutschland aufgrund stark begrenzter personeller Ressourcen und hoher Personalkosten selten rentabel.
Aus klimapolitischer Sicht hätte sie aber positive Effekte. DBU-Generalsekretär Alexander Bonde: „Wenn mittelfristig 10 bis 15 Prozent der Bekleidungsindustrie wieder hierzulande angesiedelt würden, wäre ein Einsparpotenzial von rund 1,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr möglich - allein für den deutschen Markt“.
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Komplettpaket aus Robotik, Sensorik und Greifern
Damit die Nähindustrie in Deutschland und Europa wieder Fuß fassen kann, will das Berliner Unternehmen Another Dimension of Textile Configuration (Adotc) eine digital vernetzte Roboternähzelle entwickeln, die alle Textilien vollautomatisch zusammennähen kann. Bislang ist es üblich, die einzelnen Teile eines Produkts maschinell herzustellen und anschließend von Hand zusammenzufügen.
„Eine Herausforderung bei der Automatisierung der Textilproduktion sind die Stoffe und Nähfäden“, sagt Adotc-Mitbegründer Dr. Yves-Simon Gloy. Diese seien „biegeschlaff“, also extrem schwer in eine Form zu bringen, die während der gesamten Produktion konstant bleibt. Ziel des Unternehmens ist es daher, den Nähprozess vollständig zu automatisieren.
Geplant ist nach Unternehmensangaben ein Komplettpaket mit Robotertechnik, Sensoren und Greifern sowie einer App zur Produktionsüberwachung. Dieses könnten Textilunternehmen dann schlüsselfertig erhalten und sowohl auf ihre bestehenden Nähmaschinen als auch auf ihre konkreten Produkte anwenden. Ein erster Prototyp des Nähroboters wurde bereits realisiert. Dieser soll zu einem praxistauglichen Demonstrator weiterentwickelt werden.
Weniger Transporte, Retouren und Abfall
Peter Brunsberg, ebenfalls Mitgründer von Adotc, erläutert die ökologischen Vorteile der geplanten Entwicklung: „Durch die Rückverlagerung der Textilproduktion nach Europa entfallen zum einen lange Transportwege, wodurch CO2-Emissionen vermieden werden können“.
Zweitens soll der vollautomatische Nähroboter eine deutlich individuellere Fertigung der Kleidungsstücke ermöglichen, wodurch die Zahl der Retouren sinkt.
Und drittens, so Brunsberg, könne die Produktion künftig stärker an der tatsächlichen Nachfrage ausgerichtet werden, wodurch weniger Abfall im Herstellungsprozess entstehe.
„Die Produktion wird also deutlich nachhaltiger“, sagt Brunsberg. Wichtig ist ihm: „Wir wollen die Fachkräfte in der europäischen Nähindustrie nicht durch Automatisierung ersetzen. Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet sind schon heute rar und für die Produktion vor Ort unverzichtbar. Mit unserem Angebot können wir zusätzliche Produktion hier vor Ort ermöglichen, die mit dem vorhandenen Personal gar nicht möglich wäre.“
Hinter Adotc stehen mit Gloy und Brunsberg zwei in der Textilbranche erfahrene und gut vernetzte Akteure. Gloy habilitierte zum Thema „Industrie 4.0 in der Textiltechnik“, ist Autor von mehr als 270 Fachartikeln sowie Privatdozent für „Digitalisierung und Automatisierung in der Textiltechnik“ an der RWTH Aachen. Brunsberg gründete 1997 den Taschenhersteller Bagjack in Berlin, der seither Rucksäcke, Taschen und Accessoires ausschließlich in Deutschland herstellt und weltweit vertreibt.