Automatisierung für die Lagerwelt

So revolutionieren Roboter die Logistik

Erfolgreicher Test beim Kunden vor Ort: Beim Projekt GRASS hat ein Team des Schweinfurter Centers für Robotik der THWS mit dem Automatisierungsspezialisten Linde Material Handling aus Aschaffenburg zusammengearbeitet und einen Prototyp für die Lagerlogistik entwickelt.
Erfolgreicher Test beim Kunden vor Ort: Beim Projekt GRASS hat ein Team des Schweinfurter Centers für Robotik der THWS mit dem Automatisierungsspezialisten Linde Material Handling aus Aschaffenburg zusammengearbeitet und einen Prototyp für die Lagerlogistik entwickelt.

In engen Lagergassen, zwischen Kartons und Paletten, hat ein mobiler Roboter gezeigt, was möglich ist: automatisiertes Greifen, Packen und Transportieren – effizient, sicher und flexibel.

In Kooperation mit dem Unternehmenspartner Linde Material Handling (LMH) aus Aschaffenburg hat ein Forschungsteam des Centers für Robotik (CERI) der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) einen mobilen Pickroboter mitentwickelt, der selbstständig unterschiedliche Kartons erkennen, greifen, auf Paletten packen und transportieren kann – eine innovative Lösung für den Fachkräftemangel in der Logistik. Der Prototyp hat die ersten Pilottests in einem Zentrallager beim LMH-Kunden Rossmann bereits mit Bravour bestanden.

Automatisierung in der Lagerlogistik gibt es bereits im großen Stil. Jedoch sind solche Systeme meist starr mit den Regalsystemen verbaut, benötigen große Vorabinvestitionen und haben eine fixe Kapazität. Der Einsatz von mobilen Robotern ist dagegen flexibler, da zu Stoßzeiten wie Weihnachten hochskaliert werden kann und Erweiterungen des Warenlagers einfach möglich sind.

„Es gibt zwar schon eine Vielzahl an fahrerlosen Transportsystemen“, erläutert CERI-Leiter Prof. Dr. Kaupp. „Aber einen flächendeckenden Einsatz, vor allem im Mischbetrieb mit Menschen, gibt es noch nicht“. Deshalb waren er und sein Forschungsteam sofort interessiert, als Linde Material Handling, ein Automatisierungsspezialist für Logistik, mit dieser Aufgabenstellung auf sie zukam. Gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie starteten sie gemeinsam das dreieinhalbjährige Projekt GRASS („Grasping into the Shelf“ – etwas aus einem Regal herausholen), das nun abgeschlossen ist.

Roboter als Lösung für hohe Personalkosten und Personalmangel

Die Aufgabe lautete Folgendermaßen: Während in einem Zentrallager Paletten beladen mit Warenkartons derselben Ware angeliefert werden, brauchen die einzelnen Drogeriemärkte jeweils eine individuell zusammengestellte Lieferung. Aktuell wird diese Aufgabe, die sogenannte händische Kommissionierung, von Menschen erledigt: Sie gehen durch das Lager und holen einzelne Kartons aus den verschiedenen Regalen, die dann zusammen auf eine gemischte Palette gepackt werden, genau entsprechend dem Bedarf der einzelnen Filiale – also beispielsweise ein Karton Haarpflege, fünf Kartons Tiernahrung und drei Kartons Zahnbürsten.

Deshalb machen Lohnkosten einen erheblichen Kostenanteil in der Logistik aus. Hinzu kommen weitere Probleme wie Fehler bei der Zusammenstellung der Kartons oder Einschränkungen, wie viele Kilogramm ein Mitarbeitender heben darf. „Deshalb sind unsere Kunden an der Automatisierung der Intralogistik sehr interessiert“, erklärt Projektpartner Peter Krumbholz, der das Projekt bei LMH geleitet hatte.

Paketerkennung und Greifpunktbestimmung im Einsatz

Einen sogenannten „Pickroboter“ zu entwickeln, ist allerdings immer noch eine Herausforderung: Die verschiedenartig geformten und unterschiedlich schweren Kartons müssen zuverlässig erkannt, ohne Beschädigungen aus dem Regal geholt und stabil auf die Mischpalette gepackt werden. Beim Projekt GRASS kümmerte sich LMH darum, einen autonomen Gabelstapler mit einem im Rahmen des Projekts speziell entwickelten, robotischen Arm auszustatten, um der relativen Enge in Warenlagern gerecht zu werden. Am Ende des Roboterarms sind im Quadrat Saugnäpfe angeordnet, die die einzelnen Pakete zum Hochheben ansaugen und behutsam auf der Zielpalette wieder ablegen.

Das THWS-Team steuerte das „Gehirn“ des Pickroboters bei: Mittels einer Kamera und nachgeschalteter Objektdetektion erkennt der Roboter die einzelnen Pakete sowie ihre jeweilige Position und bestimmt den idealen Greifpunkt für die Saugnäpfe. Neben Projektleiter Prof. Dr. Kaupp sorgte Prof. Dr. Volker Willert für das Fachwissen im Bereich Maschinelles Sehen. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Felix Endres und Lukas Reinhart entwarfen die nötigen Algorithmen sowie die synthetische Lernumgebung. In dieser Umgebung „lernte“ der Pickroboter anhand von simulierten und echten Bilddaten, Pakete einwandfrei zu identifizieren und zu greifen.

Lücke zwischen Simulation und realer Welt klein halten

„Die Rahmenbedingungen in einem Warenlager sind für eine Kameraerkennung nicht einfach“, so Prof. Dr. Kaupp. „Zum Beispiel ändern sich die Lichtbedingungen ständig und es geht sehr eng zu in den Regalen, so dass man die Pakete nur schwer erkennt.“ Prof. Dr. Willert ergänzt: „Unser innovativer Ansatz war, Methoden des Maschinellen Lernens mit klassischen Methoden zu kombinieren, denn wir konnten uns die geometrischen Eigenschaften der Pakete zu Nutze machen. Für das Maschinelle Lernen haben wir eine Pipeline entwickelt, die eine Vielzahl von synthetischen Bilddaten generiert und mit Bildern von echten Texturen anreichert. Dadurch konnten wir den sogenannten ,Sim-To-Real-Gap‘, also die Lücke zwischen der Simulation und der echten Welt, minimieren“.

„Die entwickelten Methoden konnten wir auch beim RoboCup@Work-Wettbewerb nutzen und auf deren Allgemeingültigkeit prüfen“, schildert Prof. Dr. Kaupp. Bei diesem internationalen Robotik-Wettbewerb hatte das CERI-Team nicht nur mehrfach die deutsche Meisterschaft gewonnen, sondern konnte sich 2024 auch über den Weltmeistertitel freuen sowie in diesem Jahr über den Vizeweltmeistertitel. Die Hauptaufgabe in diesem Wettbewerb besteht ebenfalls darin, mit einem autonom agierenden Mobilroboter verschiedene Werkstücke wie Aluminiumprofile zu erkennen, aufzunehmen und sie an bestimmten Stationen zuverlässig wieder abzulegen.

„Hier sieht man sehr schön, dass so ein ,spielerischer‘ Wettbewerb dazu beitragen kann, Studierende an industrierelevante Lösungen wie sie bei LMH vorkommen, heranzuführen“, erläutert der CERI-Leiter. „Forschung und Lehre befruchten sich hier gegenseitig.“ Auch Studierende des Bachelorstudiengangs Robotik hatten sich sowohl bei GRASS als auch beim RoboCup eingebracht, woraus mehrere Abschlussarbeiten entstanden seien. „Einer der Bachelorarbeiten hat sogar den VDE Bayern Award 2025 gewonnen. Daraus entsteht gerade eine wissenschaftliche Publikation“, so Prof. Dr. Willert.

Achtmonatiger Industrieauftrag für Pilottests

Die Ergebnisse von GRASS waren so vielversprechend, dass LMH zum eigentlichen Projektende im Oktober 2024 noch einen achtmonatigen Industrieauftrag an das CERI-Team vergeben hat, um die Resultate noch näher in die Anwendung zu bringen. Dafür besuchte das CERI-Team mehrfach ein Regionallager der Rossmann-Gruppe, um Pilottests vorzubereiten. „Inzwischen ist die Technologie reif genug, dass Rossmann die Lösung im echten Betrieb testen möchte“, sagt Peter Krumbholz von LMH stolz. „Jetzt müssen wir uns um Themen wie Sicherheit und Zertifizierungen kümmern. Wir haben aber auch schon weitere Ideen für die zukünftige Zusammenarbeit mit dem CERI, die wir gerne fortsetzen würden“.

„Für uns war GRASS eine Blaupause für eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Industrie“, betont Prof. Dr. Kaupp. „Außerdem können wir auf unseren Erkenntnissen aufbauen und die entwickelten Methoden auf das robotische Handling anderer Warentypen wie Eimer oder Säcke anpassen. Hier arbeitet das CERI bereits mit einem neuen Praxispartner zusammen, und zwar mit Kräuter Mix, einem Spezialbetrieb für luftgetrocknete Kräuter, Gemüse und Gewürze in Abtswind.

(Quelle: Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt)

FAQ: Projekt GRASS und Logistikroboter

1. Was ist das Ziel des Projekts GRASS?

Das Projekt GRASS („Grasping into the Shelf“) hat das Ziel, die manuelle Kommissionierung in der Lagerlogistik durch einen mobilen Pickroboter zu automatisieren. Der Roboter soll eigenständig verschiedene Kartons erkennen, greifen, auf Paletten platzieren und transportieren – insbesondere in Lagerumgebungen mit engem Raum und hohem Individualisierungsgrad.

2. Wie funktioniert der entwickelte Pickroboter?

Der Roboter besteht aus einem autonomen Gabelstapler, der mit einem speziell entwickelten Roboterarm und Saugnapfsystem ausgestattet ist. Mit Hilfe einer Kamera und intelligenter Objekterkennungssoftware identifiziert er Kartons, berechnet den idealen Greifpunkt und positioniert sie präzise auf Mischpaletten. Dabei kommen sowohl klassische geometriebasierte Verfahren als auch maschinelles Lernen zum Einsatz.

3. Wo wurde der Roboter bereits getestet?

Der mobile Pickroboter wurde erfolgreich in einem Zentrallager des Drogerieunternehmens Rossmann getestet. In diesem Pilotprojekt konnte er die Anforderungen der realen Kommissionierung erfüllen – mit hoher Genauigkeit, Flexibilität und unter Einhaltung der Sicherheitsanforderungen.

4. Welche Perspektiven eröffnet das Projekt für andere Branchen?

Die entwickelten Technologien lassen sich auf weitere Anwendungen übertragen. Bereits jetzt wird mit Kräuter Mix an Lösungen für das Handling von Säcken und Eimern gearbeitet. Die Erkenntnisse aus GRASS bilden die Grundlage für neue Automatisierungskonzepte in verschiedenen Branchen mit komplexen intralogistischen Anforderungen.