Kommentar von Michael Fritz, Fraunhofer CCIT

"2026 wird zum digitalen Wendepunkt"

Die digitale Transformation der Industrie hat eine kritische Schwelle erreicht. Jetzt entscheidet sich, ob technische Exzellenz auch in wirtschaftlichen Erfolg und digitale Souveränität überführt wird – oder in Fragmentierung endet.

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Michael Fritz vom Fraunhofer Cluster of Excellence Cognitive Internet Technologies CCIT meint, dass ein datensicheres Deutschland gemeinsame Umsetzung braucht - und dass 2026 dafür ein Schlüsseljahr wird.
Michael Fritz vom Fraunhofer Cluster of Excellence Cognitive Internet Technologies CCIT meint, dass ein datensicheres Deutschland gemeinsame Umsetzung braucht - und dass 2026 dafür ein Schlüsseljahr wird.

Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie ernst die Industrie es inzwischen mit vernetzten Datenräumen, interoperablen Plattformen und KI-Anwendungen meint. In vielen Branchen wird nicht mehr über das „Ob“ diskutiert, sondern ganz konkret darüber, wie Daten souverän geteilt, wie KI verlässlich genutzt und wie technische Standards umgesetzt werden können. Dieser Fortschritt zeigt, dass wir einen neuen Reifegrad erreicht haben. 

Gleichzeitig erleben wir, dass bei zentralen Fragen – von Datensouveränität über Interoperabilität bis zur technischen Durchsetzbarkeit von Sicherheit – immer noch keine klaren und einheitlichen Zielbilder vorhanden sind. Genau das macht deutlich, dass 2026 das Jahr der konsequenten Umsetzung werden muss. Dann wird sich entscheiden, ob Deutschland die digitale Transformation wirklich meistert oder in kleinteiligen Ansätzen stecken bleibt.

Technologien, Konzepte und regulatorische Rahmenbedingungen sind vorhanden 

Der eigentliche Engpass liegt nicht mehr in der technischen Machbarkeit, sondern in Vertrauen, Sicherheit und gemeinsamer Umsetzung. Digitale Wertschöpfung entsteht erst dann, wenn Unternehmen ihre Daten souverän kontrollieren können, wenn KI zuverlässig und nachvollziehbar agiert und wenn Datenräume nicht nur Pilotcharakter haben, sondern in die Breite getragen werden. 

Ich erlebe in vielen Gesprächen, dass wir bei der Digitalisierung häufig davon ausgehen, Sicherheit sei bereits integraler Bestandteil der Technologien. Doch IT-Sicherheit ist nicht automatisch vorhanden. Sie muss aktiv entwickelt, überprüft und durch klare Rahmenbedingungen garantiert werden. Für vernetzte industrielle Ökosysteme reicht ein rein organisatorisches Vertrauensmodell schlicht nicht aus. Sicherheit muss auf technischer Ebene durchsetzbar sein. Sie muss vor der Klammer stehen, bevor Digitalisierung im industriellen Maßstab überhaupt funktionieren kann. Nur dann entwickelt sich das Vertrauen, das ein datensicheres Deutschland benötigt.

Sicherheit ist die Grundlage – nicht die nachgelagerte Ergänzung

Zwar existieren mit Konnektor-Technologien wie dem Sovity Connector, dem EDC Eclipse Dataspace Components, dem Eclipse Tractus-X EDC Connector oder dem Amadeus Dataspace Connector bereits leistungsfähige Bausteine für souveräne Datenräume. Doch solange verschiedene Datenrauminitiativen eigene technische Zugänge und divergierende Governance-Modelle etablieren, entstehen Insellösungen. Das mag kurzfristig attraktiv erscheinen, verhindert aber das, was wir dringend brauchen: eine gemeinsame, interoperable Basis. Die X-Projekte in Deutschland liefern wichtige Impulse, und viele engagierte Teams arbeiten an beeindruckenden Lösungen. Doch erst wenn Sicherheit als übergeordnete Bedingung verstanden wird und wenn einheitliche technische Standards verbindlich gelten, können diese Initiativen ihren vollen Nutzen entfalten. Ohne ein solches Fundament bleiben die Projekte im Kleinen, obwohl ihr Potenzial im Großen liegt.

2026 wird sich entscheiden, ob wir die digitale Transformation wirklich meistern. Der Engpass liegt nicht mehr in der Technik. Entscheidend sind Vertrauen, Sicherheit und die gemeinsame Umsetzung. Datensouveränität gelingt nur gemeinsam – 2026 wird daher ein Schlüsseljahr.

Michael Fritz, Leiter der Geschäftsstelle Fraunhofer Cluster of Excellence Cognitive Internet Technologies CCIT

Datenräume müssen wirtschaftlichen Mehrwert für den Mittelstand bieten

Diese Konsolidierung ist besonders entscheidend, um den Mittelstand wirksam einzubinden. Viele stellen sich das Onboarding kleiner und mittlerer Unternehmen in Datenräume einfacher vor, als es in der industriellen Realität tatsächlich ist. Die Teilnahme für KMU lohnt sich nur, wenn Aufwand und Nutzen in einem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis stehen – kurz gesagt, wenn sich Kosten sparen oder mehr Umsatz generieren lassen. Letztlich entsteht eine gesamtwirtschaftlich betrachtete positive Wirkung nur dann, wenn alle in einem solchen System mitmachen können. Einzelne Vorreiter reichen nicht aus.

KI braucht Kontrolle – und sichere Datenräume als Voraussetzung

Gleichzeitig beobachten wir eine Phase enormer Erwartungen an Künstliche Intelligenz. KI ist zweifellos ein zentraler Treiber der Digitalisierung, doch sie wird häufig mit einem Automatisierungsversprechen überladen, das in der Praxis kaum einzuhalten ist. Erfolgreiche industrielle KI braucht sowohl autonom handelnden Agenten auf übergeordneter Ebene als auch kontrollierte, erklärbare Systeme für Maschinen und Anlagen insbesondere unter Einhaltung der (Arbeits-)Sicherheit, die sich klaren Verantwortlichkeiten unterordnen. 

Voraussetzung dafür sind sichere Datenräume und durchsetzbare Datennutzungskontrolle. Ohne diese Grundlagen kann eine KI weder vertrauenswürdig agieren noch einen nachhaltigen wirtschaftlichen Mehrwert schaffen.

EuroStack als europäische Weiterentwicklung – die zweite Hälfte des Weges

An dieser Stelle zeigt sich, dass Deutschland und Europa ihre Hausaufgaben machen müssen, bevor die nächste Stufe erreicht werden kann. Genau hier kommt EuroStack als konsequente Weiterentwicklung ins Spiel. Während die deutschen X-Projekte vor allem den Aufbau funktionierender Datenräume und sicherer Datennutzung adressieren, erweitert EuroStack den Blick auf die europäische Ebene und ergänzt die notwendigen Schichten für souveräne Cloud-Infrastrukturen, vertrauenswürdige KI und sichere I(I)oT-Plattformen. 

Man kann sagen: Die Arbeit an technischen Standards, interoperablen Konnektoren und verlässlicher Sicherheit bildet die halbe Wegstrecke zu einem daten-sicheren Deutschland. EuroStack ist die zweite Hälfte, indem es diese Grundlagen in einen europäischen Technologiestack überführt und damit eine echte Alternative zu den dominierenden US- und chinesischen Infrastrukturen schafft. Dass der Fraunhofer CCIT dabei bereits heute vier der sieben EuroStack-Ebenen adressiert, zeigt, dass wir technologisch keineswegs hinterherlaufen. Die entscheidende Frage ist, ob wir diese vorhandenen Bausteine konsequent in eine gemeinsame Umsetzung überführen. Es wäre eine verpasste Chance, wenn wir uns in kleinteiligen Diskussionen verlieren, statt mit vereinten Kräften die europäische Souveränität aufzubauen.

2026 als Jahr des gemeinsamen Handelns

2026 bringt eine besondere Dringlichkeit mit sich. Die wirtschaftliche Lage, geopolitische Unsicherheiten und der steigende internationale Wettbewerbsdruck machen klar, dass wir uns ein weiteres Jahr des Zögerns nicht leisten können. Wir verfügen über Forschung, Know-how, technische Grundlagen und engagierte Netzwerke. Was jetzt zählt, ist der gemeinsame Schritt von der Idee in die Umsetzung. Ein datensicheres Deutschland und eine digital souveräne europäische Industrie entstehen nicht dadurch, dass jeder für sich agiert. Niemand kann diesen Transformationsprozess alleine stemmen – nicht die Forschung, nicht die Wirtschaft, nicht die Politik. 

Erst die gemeinsame Umsetzung, getragen von interoperablen Standards und echter Zusammenarbeit, ermöglicht den Durchbruch. Gerade jetzt stehen wir zudem vor einer seltenen Gelegenheit – einer Einmal-in-20-Jahren-Chance, eine europäische digitale Infrastruktur als echtes Gegenmodell zu bestehenden Abhängigkeiten aufzubauen. Wenn wir sie verstreichen lassen, wird sie so schnell nicht wiederkommen. Wenn wir 2026 den Mut zu diesem gemeinsamen Schritt aufbringen, können wir die industrielle Digitalisierung aktiv prägen und Deutschland zum Vorreiter machen.

(Quelle: Fraunhofer CCIT)

FAQ: Datensouveränität, KI und sichere Datenräume

1. Warum ist Datensouveränität entscheidend für die Industrie?
Datensouveränität ermöglicht Unternehmen, die Kontrolle über ihre Daten zu behalten und diese sicher sowie gezielt für neue Geschäftsmodelle und Wertschöpfung zu nutzen. Sie ist die Grundlage für Vertrauen in digitale Prozesse und für die Skalierbarkeit von vernetzten Plattformen in industriellen Ökosystemen.

2. Welche Rolle spielt Sicherheit in der digitalen Transformation?
Sicherheit ist kein Zusatz, sondern eine Voraussetzung für digitale Prozesse. Sie muss technisch durchsetzbar, überprüfbar und verbindlich sein – nur dann entsteht Vertrauen. Ohne Sicherheit bleiben digitale Projekte im Pilotstatus und können nicht skaliert werden.

3. Was braucht Künstliche Intelligenz, um in der Industrie wirksam zu sein?
Industrielle KI muss nicht nur leistungsfähig, sondern erklärbar, sicher und verantwortbar sein. Voraussetzung dafür sind kontrollierte Datenräume mit klarer Datennutzung und Verantwortlichkeiten. Erst dann kann KI einen echten wirtschaftlichen Mehrwert liefern.

4. Was steckt hinter dem Konzept EuroStack?
EuroStack ist ein europäischer Technologiestack, der souveräne Cloud-Infrastrukturen, vertrauenswürdige KI und sichere IIoT-Plattformen vereint. Ziel ist es, eine strategische Alternative zu US- und chinesischen Lösungen zu schaffen und Europas digitale Unabhängigkeit zu sichern.