Neuroplastizität
Denkblockaden durchbrechen und mit Innovation abheben
Wenn Unternehmen die Innovationen ausgehen, könnte es sich lohnen, sich mit dem Thema Neuroplastizität zu beschäftigen. Diese beschreibt, wie sich das Gehirn an Reize anpasst. Umgekehrt lassen sich nach diesen Regeln auch Denkblockaden durchbrechen.
Effizient, pragmatisch, zurückhaltend – Ingenieure sind die stillen Helden der Moderne. Ob es um die Wirtschafts- und Innovationskraft des Standorts geht, oder um die großen Herausforderungen der Menschheit wie Mobilität, Ressourcen und Klimawandel: Ohne die lösungsorientierten Damen und Herren läuft gar nichts. Viele unter ihnen sind Ingenieure aus Leidenschaft für Neues. Ein Ingenieur startet seine Karriere mit der inneren Überzeugung, die Welt verändern zu dürfen. Neugier und die Unzufriedenheit mit dem Status Quo treiben ihn voran. Leider sehen sie sich oft einer Unternehmensrealität gegenüber, die es ihnen schwermacht. Starre Strukturen und intransparente Entscheidungen prägen den Alltag. Kein guter Nährboden für innovative Ideen. Während die begeisterten Innovatoren einigen technikaffinen Menschen die große Vision einer Erfindung verständlich machen, steigt die Mehrheit mit einem deutlichen „Ja, aber...“ aus.
Stress bewirkt etwas im Gehirn
Echte Innovationen basieren oft auf Lösungen von Problemen, die vorher unmöglich lösbar erschienen. Einige Beispiele dafür sind der biegsame Bildschirm, Stromübertragung ohne Kabel oder auch Chatbots als Problemlöser für Kunden. In vielen Firmen geht es jedoch nicht darum, Risiken einzugehen und die großen Probleme dieser Zeit anzugehen. Vielmehr werden Ergebnisse angestrebt, die unter großem Zeit- und Kostendruck überhaupt zu verwirklichen sind. Man bewegt sich auf sicheren Pfaden inkrementeller Verbesserung. Dabei gilt: Für junge Erfinder ist es frustrierend, wenn außergewöhnliche Ideen eher belächelt und nicht umgesetzt werden. Oft sind es nicht die sinnvollsten Projektideen, sondern solche, die dem Chef am besten passen, in die investiert wird. Das erzeugt Unzufriedenheit, Frustration und Stress – und bleibt nicht ohne Auswirkungen. Denn unser Gehirn passt sich unser Leben lang an unsere Umgebung an.
Denkblockaden werden gelernt
Neuroplastizität heißt die Strategie unseres Gehirns, die uns erlaubt, dass wir uns in jeder Situation zurechtfinden. Das funktioniert ganz einfach. Jede emotionale Erregung bewirkt im Gehirn, dass neue Verknüpfungen erstellt werden. Dabei ist es egal, ob die Emotion positiv oder negativ ist. Nehmen wir zum Beispiel Daniel, einen jungen Verfahrenstechniker. Er ist seit drei Jahren bei einem Maschinenbauer für Dosieranlagen tätig. Daniel ist Feuer und Flamme für das Unternehmen. Er liebt die Entwicklung und diskutiert begeistert ungewöhnliche Problemlösungen. Im Unternehmen läuft ein Patent aus. Ein neues muss her, um die Cash-Cow zu ersetzen.
Ein Entwicklungsteam wird zusammengerufen und Daniel äußert eine besondere Idee: Statt Stahl und Eisen könnte man Gel verwenden, um die gewünschte Funktion technisch umzusetzen. Als Reaktion bekommt er müdes Lächeln und die üblichen Killerphrasen: Das geht nicht. Wer soll das bezahlen? Das haben wir bereits verworfen und so weiter. Er wird vor seinem Chef bloßgestellt. Die Erniedrigung wird er nicht vergessen. Was passiert in Daniels Gehirn? Die Entscheidung, seine Idee voranzutreiben, kann Daniel nicht treffen. Wertschätzung und Anerkennung bleiben aus. Die Zugehörigkeit zur Gruppe wird in Frage gestellt. Daniels psychologische Grundbedürfnisse nach Autonomie, Selbstwerterhöhung und Bindung werden verletzt. Die Verletzung dieser Grundbedürfnisse führt zu emotionaler Erregung. Die Gelassenheit schwindet. Erfahrungen brennen sich in Daniels Gehirn ein und er wird diese nie wieder vergessen. Außerdem wird das Schmerzzentrum in Daniels Gehirn aktiviert. So kommt es zur Ausschüttung von Stresshormonen. Dadurch ist er nicht in der Lage, kreativ zu denken und zu argumentieren. Die Areale für kreatives Problemlösen sind nicht aktiv und er ist wie gelähmt.
In Stresssituationen greift unser Gehirn zurück auf altbekannte Lösungsmuster, Reflexe aus der frühen Kindheit und rudimentäre Verhaltensmuster wie Flucht oder Schreckstarre. Das nächste Mal, wenn er nach einer Lösung gefragt wird, wird er sich an diese Situation erinnern. Wieder wird die Demütigung lebendig. Wieder werden Stresshormone ausgeschüttet. Selbst wenn er wollte – kreatives Problemlösen ist jetzt nicht mehr möglich. So werden aus anfänglich kreativen, lösungsorientierten und offenen Persönlichkeiten diejenigen Menschen, die als erste Killerphrasen äußern, um sich nie wieder einer Situation auszusetzen, in der sie gedemütigt oder enttäuscht wurden. Ein Teufelskreis ist enstanden.
Typische Lösungen sind nicht immer die besten
Haben wir ein Problem, denken wir sofort in Lösungen. Ein Beispiel: Soll eine Brille kratzfest werden, dann härtet man die Gläser. Diese weicher zu machen und ihnen so Selbstheilungseigenschaften zu geben, ist die untypische Lösung. Um diese zu sehen, ist es wichtig, sich nicht auf die erstbeste Lösung zu stürzen. Denn unsere Entscheidungen sind subjektiv. Stellen Sie sich vor, Sie hören immer wieder vom Trend der Digitalisierung. Je öfter Sie davon gehört haben und je kürzer dies her ist, desto eher werden Sie glauben, der Trend sei wichtig. Auf Basis dieser subjektiven Bewertungsmaßstäbe werden innovative Ideen abgelehnt oder angenommen. Und wenn Stress, emotionale Anspannung und Zeitdruck hinzukommen, machen wir Fehler.
Blockaden brechen
Innovation zu erzeugen und komplexe, technische Hürden zu überwinden ist deshalb nicht nur eine rein technische Fragestellung. Ingenieure sind Experten auf ihrem Gebiet. Was sie jedoch wieder neu lernen müssen, ist Denkblockaden zu brechen und Risiken einzugehen. Fehler müssen erlaubt sein. Bei einem Automobilzulieferer haben wir einen einfachen Test mit Workshop-Teilnehmern durchgeführt. Wir behaupteten, einen Entwicklungsauftrag angenommen zu haben und zeigten eine etwas eigenartige Skizze einer Schubkarre. Ein ungeschultes Team lässt kein gutes Haar an ihr, denn sie entspricht nicht den Erwartungen an typische Schubkarren. „Geht nicht. Ist doch Quatsch!“ Nach gemeinsamer Arbeit mit dem Team an dessen Denkblockaden wurden am Ende perfekte Merkmale für die Schubkarre gefunden. Nach nur wenigen Tagen ließ sich auf diesem Weg die Lösung für ein langjähriges Problem finden. aru