Vom Komponenten- zum Systemanbieter
Darum verändern sich Automatisierungshersteller stark
Ob in Automobilindustrie oder Maschinenbau - der Technologiewandel durch Industrie 4.0 erfasst auch die Automatisierungshersteller. Die bieten neue Strategien.
Der Technologiewandel in der Automobilindustrie und im Maschinenbau, Stichwort Industrie 4.0, erfasst auch die Automatisierungshersteller. Die Zimmer Group hat sich deshalb vom klassischen Komponenten- zum Systemanbieter entwickelt. Heute bietet das Unternehmen beispielsweise EOAT-Lösungen für die Elektromobilität sowie Handlings-Lösungen für die Logistik und sogar ganze Roboterbearbeitungszellen.
Einen Paradigmenwechsel in der Antriebstechnik von Fahrzeugen läutet der Fortschritt in der Elektromobilität ein. Dieser Wandel hin zur Elektromobilität bringt Bewegung in den Markt und stellt nicht nur die Automobilhersteller und deren Zulieferer vor hohe Herausforderungen. Von diesen massiven Auswirkungen ist auch der Automationsspezialist Zimmer Group aus Rheinau unmittelbar betroffen. Wie geht nun das Unternehmen mit Sitz in Rheinau bei Offenburg, das in seinem Systembereich jahrelang den Hauptfokus auf Bauteile des konventionellen Powertrain Segments gesetzt hatte, mit diesem Wandel um? Eines ist klar: Ein radikales Umdenken ist erforderlich.
EOAT-Lösungen für die Elektromobilität
Electric-Vehicle(EV)-Hersteller, also Hersteller von Elektrofahrzeugen, suchen derzeit nach innovativen und automatisierten Lösungen, um ihre Herstellungsprozesse und Produktionsbaugruppen einfach, zuverlässig und produktiv zu gestalten. Dabei finden nicht selten die Produktentwicklung und auch die Entwicklung eines Fertigungskonzeptes parallel statt. Dies erfordert höchste Flexibilität beim Bau einer Automationslösung und in der Denkweise in den Köpfen der beteiligten Ingenieure.
Da die Losgrößen im Bereich der Batterieproduktion gegenwärtig noch nicht auf einem so hohen Niveau angelangt sind, sollte oder besser gesagt muss deshalb neben einem flexiblen Automations- auch ein flexibles Fertigungskonzept entwickelt werden. Bereits seit 30 Jahren bietet die Zimmer Group End of Arm Toolings (EOAT) für die Montage von Antriebssträngen und Beladung von Bearbeitungslinien in der Automobilindustrie an. Um den technologischen Umbruch von Verbrennungsmotoren zur Elektromobilität aktiv zu begleiten, hat der Technologiebereich Systemtechnik bereits mehrere modulare Lösungen für den EV-Fahrzeugbau entwickelt.
In kurzer Zeit vom Erstgespräch zur Lieferung
Über bereits erfolgreich umgesetzte Projekte im Bereich E-Mobilität weiß Jan Schaare, Leitung Vertrieb und Projektierung Systemtechnik, einiges zu berichten: „Wir haben in unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung bereits im Jahr 2014 damit begonnen, EOAT-Lösungen für die Elektromobilität zu entwickeln und haben seitdem mehr als 50.000 Engineering-Stunden in die Entwicklung und Perfektionierung von Systemen für dieses Marktsegment investiert. Die ersten Greifsysteme mussten wir unter enormem Termindruck entwickeln, da die Zeitvorgaben von unserem damaligen Kunden sehr eng gesetzt wurden. Vom Erstgespräch bis zu Lieferung vergingen gerade einmal vier Monate.
Heute sind wir im Electric-Vehicle-Bereich Zulieferer aller führenden Automobilhersteller wie Tesla, Porsche, BMW, Mercedes Benz, BYD und vielen weiteren. Darauf sind wir sehr stolz.“ Das Unternehmen ist geschätzter Forschungs-und Entwicklungs-Partner von Premium-Automobilherstellern und Integratoren von Produktionslinien und bietet Handlingsysteme und Vorrichtungen für die Herstellung von Batteriezellen, Batteriepacks und Batteriemodulen an. Die badische Ideenschmiede oder wie es in ihrem Slogan heißt „THE KNOW-HOW FACTORY“ liefert darüber hinaus spezifische Systemlösungen für Rotoren, Statoren, Kontaktringe, Zahnräder sowie diverse Anbauteile.
Alternative Ideen und Konzepte
Noch vor fünf Jahren lag der Kundenanteil der Zimmer Group Systemtechnik aus dem Automotive-Bereich bei 90 Prozent. Jahrzehntelang hatte man da mit einer Hand voll Kunden und den Hauptbauteilen des Verbrennungsmotors – wie Motorblock, Kurbelwelle, Zylinderkopf, Nockenwelle – im Bereich der Maschinenverkettung gute Umsätze generiert. Doch schon damals zeichnete sich das Ende des Verbrennungsmotors ab und ein klarer Trend zum Bereich Electric Vehicle, aber auch zum Hybrid-Bereich war zu erkennen. Dank der bereits bestehenden engen Zusammenarbeit des Unternehmens mit der Automobilindustrie war hier zwar schon ein Zugang zur neuen Technologie gegeben. Doch es gab auch weitere alternative Ideen und Konzepte, um sich zukünftig noch breiter aufzustellen und am Markt zu positionieren. Immer mehr Verbraucher wünschen sich heute personalisierte Produkte, die genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind – vom maßgeschneiderten Fahrrad über selbstgemischtes Müsli und individualisiert bedruckten Cola-Flaschen bis hin zu Unikat-Reisekoffern.
Auch vor den eigenen vier Wänden macht der Trend keinen Halt. So sind zum Beispiel individuelle Möbel oder Küchenausstattungen sehr hoch im Kurs. In vielen Haushalten klingelt der Paket-Bote inzwischen fast täglich. Und so setzte die Zimmer Group Systemtechnik sein zweites Standbein mit einer klaren Fokussierung auf den Bereich Logistik und Consumer Goods. Hier entwickelt das Unternehmen Lösungen für Logistikcenter, Verteilzentren oder auch für sogenannte Supermärkte in den Logistikzentren der Automobilindustrie.
Roboterbearbeitungszelle für Losgröße eins
Dem Trend der Individualisierung begegnet auch der französische Küchenbauer Schmidt, der sein bereits bestehendes Losgröße-eins-Konzept durch eine innovative Roboterbearbeitungszelle zur Bohrbearbeitung und zum Beschlagsetzen von Küchenmöbelteilen perfekt ergänzt hat. Die Zelle ist Teil einer Fertigungslinie, mit der komplette Küchenausstattungen in Losgröße eins gefertigt werden. Die Zimmer Group hat sich, auf dem Weg in Richtung Industrie 4.0, vom klassischen Komponenten- zum Systemanbieter entwickelt und so gleich eine ganze Roboterzelle hergestellt.
Mit Award prämiertes Shuttle-System
Das Herz der Anlage sind fünf ausgewachsene ABB-Roboter in einer Reihe, die durch ein flexibel agierendes Transportsystem verbunden sind, in dem die Werkstücke je nach Größe mit bis zu vier frei programmierbaren Shuttles gespannt und bewegt werden. Dieses umlaufende Shuttle-System wurde, nebenbei erwähnt, im Jahr 2019 mit dem Innovationspreis „German Innovation Award“ ausgezeichnet. In enger Taktung mit Werkstückabständen von unter zwei Sekunden werden Möbelteile durch die Roboter mit Bohrungen, Nuten und Beschlägen versehen. Und das im fliegenden Wechsel in Losgröße eins. Auf einer zwei Meter hohen Seitenwand eines Hochschranks kann so unmittelbar im Anschluss der Einlegeboden eines Regals mit nur 15 x 20 Zentimetern folgen. Und zwar ohne Rüstzeit. „Als wir unsere Pläne für eine solche Zelle erstmals diskutiert haben, hieß es schnell: Lasst es bleiben, mit Robotern lässt sich das nicht in ausreichender Präzision erledigen“, erinnert sich Geschäftsführer Achim Gauß, bei der Zimmer Group verantwortlich für die Bereiche Technik und Vertrieb. „Und das war zunächst auch so. Wir mussten sehr viel in Hardware und in Software investieren“, berichtet Gauß weiter.
Genauigkeit von zwei Zehntel Millimeter
Das Besondere an dieser Roboterlösung, für die sich die Zimmer Group auch aus dem eigenen Fundus an Greifern und Werkzeugwechslern bedient, ist die Bohrbearbeitung, die durch ABB-Industrieroboter erfolgt und die Möbelteile mit einer Genauigkeit von zwei Zehntel Millimetern in Stückzahl eins am Roboter bearbeiten kann. Hierzu kam ein selbstentwickelter Kompensationsalgorithmus, basierend auf einer Laser-Trackermessung der Roboter im Bearbeitungsbereich zum Einsatz. Die Hürde der Genauigkeit war auch einer der Knackpunkte im gesamten Prozess: Die einzelnen Möbelteile werden durch einen Beschickungsroboter in die Shuttles gespannt und anschließend in Abmessungen und Lage vermessen. In einer Aufspannung werden die Teile dann an den verschiedenen Bearbeitungsstationen entlanggeführt und abschließend durch den Entladeroboter aus den Shuttles entnommen. So stellt man sicher, dass keine Genauigkeitsverluste durch das Umspannen entstehen.
„Um so eine komplexe Anlage während der Planung, aber auch später im Betrieb zuverlässig organisieren zu können, braucht man eine hundertprozentige Echtzeitsimulation“, führt Achim Gauß aus. Ein solcher digitaler Zwilling mache die Anlage hochflexibel, aber auch spannend für die Arbeitsvorbereitung und für die Planung beim Kunden. „Wir haben in diesem Projekt sehr viel gelernt und haben dieses Know-how mit dem digitalen Zwilling auf all unsere Komponenten übertragen können“, zieht Gauß das Resümee.
Industrie 4.0 konsequent umgesetzt
Mithilfe des digitalen Zwillings im HIL-System (Hardware in the Loop) lässt sich die Zelle virtuell aufbauen, um die Anlagenleistung und Funktionalität schon vor der Realisierung überprüfen zu können. Damit setzt die Roboterbearbeitungszelle der Zimmer Group die Ansätze der Industrie 4.0 konsequent um.
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