Bauteil legt seinen Weg selbst fest
Die Zukunft der Fertigung heißt Matrixproduktion
In der Fertigung der Zukunft werden Roboter und Menschen flexibel und direkt miteinander agieren. Wie so eine Matrixproduktion funktioniert, zeigt schon jetzt das Robotics Engineering Application Lab for Matrixproduction REAL-M.
Der Teufel steckt bei Automatisierungslösungen oft im Detail: Aspekte des Maschinenbaus (physikalische Struktur und Mechanik von Robotern mit ihren Gelenken, Aktoren und Sensoren), der Elektrotechnik (elektrische Systeme einschließlich Stromversorgung, Steuerung und Motoren) und der Informatik (Steuerung, Algorithmen, Entscheidungsfindung) müssen für den gewünschten Anwendungsfall durchdacht werden. Eine Lösung dafür soll das Konzept der Matrixproduktion bringen.
Was ist Matrixproduktion und wie funktioniert sie?
Realität wird es am 25. September 2024 in Form des Robotics Engineering Applikationslabor für die Matrixproduktion, kurz REAL-M. Aufgebaut in der Chemnitzer Forschungsfabrik des Fraunhofer IWU bildet die neue Infrastruktur die komplette Fertigungszelle einer Matrixproduktion ab. REAL-M zeigt, welches Potenzial in Mehrroboterlösungen für mittelständische Unternehmen steckt. Das Stichwort heißt Team: Die in einer Zelle gruppierten Roboter sollen künftig mit dem Menschen und direkt miteinander kooperieren, statt nur indirekt über feste Übergabestationen verbunden zu sein.
Das sind wesentliche Komponenten von REAL-M:
- Auf der Roboterebene legt eine Steuerung fest, welche Bewegungen die einzelnen Roboter ausführen dürfen, auch im Zusammenspiel miteinander. Übergeordnet agieren eine speicherprogrammierbare Steuerung sowie ein Leitrechner. Dieser sorgt für die Sicherheit der gesamten Zelle und bildet die Schnittstelle zu Edge-Devices, kommuniziert also mit produktionsnahen Hochleistungsrechnern, die sehr nahe an der Wirkstelle Messdaten von Sensoren in Echtzeit verarbeiten können.
- Bei der REAL-M gibt es ein digitales, dreidimensionales Abbild nicht nur von einzelnen Komponenten, sondern auch von der gesamten Zelle. Konkret kommt ein Modell zur Virtuellen Inbetriebnahme (VIBN) zum Einsatz, welches als Software-in-the-Loop (SiL) oder Hardware-in-the-Loop (HiL) mit der Anlagensteuerung verbunden werden kann. Beide Methoden ermöglichen es, die Funktionsweise der Zelle am Simulationsmodell zu testen, ohne die realen Roboter in Bewegung zu versetzen.
- HiL bedeutet dabei die Anbindung des VIBN-Modells an die tatsächliche Steuerungshardware im Schaltschrank, während bei SiL eine Emulation (originalgetreue Kopie) des Steuerungssystems verwendet wird. So können auch während des Betriebs der realen Zelle Steuerungslösungen für andere Anwendungsfälle mit direkt übertragbarem Steuerungscode am realitätsnahen VIBN-Modell entwickelt, getestet und optimiert werden.
Warum ist die virtuelle Inbetriebnahme ein Gamechanger?
Dies ist gerade bei einer so vielseitigen Roboterzelle wie bei REAL-M sinnvoll, da die nächsten Aufgaben sehr realitätsnah vorab und am Schreibtisch getestet werden können. Die virtuelle Inbetriebnahme steigert die Effizienz beim Arbeiten erheblich: Dank der Steuerungsanbindung des Simulationsmodells besteht kein Unterschied zwischen der Bedienung von Simulation und realer Anlage.
Die REAL-M ist für die Simulation mit aktuell vier interagierenden Robotern nach Robotics-Engineering-Maßstäben vorbereitet. Die Reife eines Produktionskonzepts und seiner Prozesse erreicht damit bereits vor der Inbetriebnahme eine völlig neue Qualität und Verlässlichkeit, auch und gerade bei komplexen Fertigungssystemen, in die mehrere Roboter eingebunden sind. Anspruchsvolle, schnell wechselnde Fertigungsaufgaben lassen sich zügig bearbeiten, die Zeitspanne vom Auftrag bis zur Produzierbarkeit (Time-to-Manufacturing) verkürzt sich erheblich.
Annäherung von Simulation und Realität
Insbesondere bei der weiteren Annäherung von Simulation und Realität stellt REAL-M einen großen Fortschritt dar. Faktoren wie die Größe bzw. Traglast und Reichweite der eingebundenen Roboter, deren Genauigkeit, die Kinematik, die Ansteuerung der Antriebe, die Umgebungstemperatur, Materialeigenschaften oder Ungenauigkeiten im Produkt exakt abzubilden, bleibt eine Herausforderung - die nun besser gemeistert werden kann. Steuerungstechniker und Konstrukteure können ab sofort noch näher an die Grenzen des digitalen Zwillings und der Simulationsergebnisse gehen.