Studie des Fraunhofer IPA auf der Automatica 2025 vorgestellt
Humanoide Roboter: Revolution oder Sackgasse?
Eine neue Studie des Fraunhofer IPA sorgt für Diskussionsstoff: Sind humanoide Roboter der nächste große Schritt in der Industrie – oder überschätzte Zukunftsvisionen? Auf Basis umfangreicher Daten liefert die Untersuchung fundierte Antworten und konkrete Handlungsempfehlungen.
Auf der Automatica 2025 hat das Fraunhofer IPA eine wegweisende Studie vorgestellt, die das Potenzial humanoider Roboter in der Industrie differenziert bewertet. Die Ergebnisse zeigen: Zwischen Hype und Realität liegt ein weiter Weg – doch das Potenzial bleibt erheblich, wenn zentrale Hürden überwunden werden.
Erwartungen vs. Realität
Humanoide Roboter dominieren die Schlagzeilen, besonders nach spektakulären Messeauftritten und viralen Demovideos. Hersteller kommunizieren aggressive Preisziele zwischen 20.000 und 50.000 US-Dollar – ein Durchbruch scheint greifbar. Gleichzeitig wächst die Zahl der Anbieter, vor allem im asiatischen Raum, rapide.
Doch Experten zeigen sich skeptisch: Der menschliche Körperbau sei für viele industrielle Anwendungen ungeeignet – „Form follows Function“ sei hier das entscheidende Prinzip. Die derzeitige Performance humanoider Roboter reicht bei Weitem nicht an spezialisierte Systeme heran. Zudem mangelt es an rechtlichen Rahmenbedingungen und wirtschaftlich tragfähigen Einsatzszenarien.
Technologische Herausforderungen
Die Studie identifiziert die größten Herausforderungen beim Einsatz humanoider Roboter in der Industrie:
Fehlende Flexibilität und Präzision: Obwohl 84 % der Befragten Materialtransport als sinnvollen Anwendungsfall sehen, mangelt es an Feinfühligkeit und Genauigkeit.
Unklare Sicherheitsstandards: Fast die Hälfte der Systemintegratoren sieht hierin das größte Hindernis.
Hohe Erwartungshaltung: 37 % nennen übertriebene Erwartungen als Risiko.
Komplexe Programmierung: Für 33 % ein klares No-Go.
Nur etwa 40 % halten menschenähnliche Hände oder Beine überhaupt für notwendig. Viel wichtiger seien flexible Endeffektoren und intuitive Bedienung.
Rechtliche und soziale Aspekte
Neben der Technik geraten auch rechtliche Fragen zunehmend in den Fokus. Die aktuelle Maschinenrichtlinie wird der humanoiden Robotik nicht gerecht. Besonders in der Mensch-Roboter-Kollaboration bestehen Grauzonen. Auch die Akzeptanz innerhalb der Belegschaft ist ein entscheidender Faktor – für 57 % der Befragten beeinflusst sie die Kaufentscheidung maßgeblich.
Potenzial bleibt bestehen – unter Bedingungen
Trotz aller Vorbehalte sehen rund 80 % der Befragten den industriellen Einsatz humanoider Roboter in den kommenden zehn Jahren als realistisch an – insbesondere in Logistik, Lebensmittel- und Textilindustrie. Der Zielpreis von unter 100.000 € entspricht weitgehend der Zahlungsbereitschaft der Industrie.
Der Markt könnte rasant wachsen: von geschätzten 13,25 Mrd. US-Dollar 2029 auf bis zu 100 Mrd. US-Dollar im Jahr 2035. Doch dafür braucht es gezielte Förderung, klare regulatorische Leitplanken und technologische Durchbrüche.
Handlungsempfehlungen der Studie
Die Autoren geben konkrete Empfehlungen für Industrie und Politik:
Entwicklung softwarebasierter Sicherheitsfeatures
Neue Normen für humanoide Robotik analog zur ISO TS 15066
Investitionen in Feinfühligkeit und Greiftechnik
Vereinfachung der Programmierung
Wachstumsförderung für spezialisierte Start-ups
Politische Unterstützung durch Fördermittel und Regulierung
Zwischen Aufbruch und Ernüchterung
Die Studie liefert ein klares Bild: Humanoide Roboter könnten sich langfristig als Game-Changer etablieren – vorwiegend als vielseitig einsetzbare "Springer" in Fabriken. Der derzeitige Technologiereifegrad lässt ihren industriellen Einsatz jedoch noch als verfrüht erscheinen. Für Deutschland geht es jetzt darum, eine klare Strategie zu entwickeln – zwischen Innovationsförderung und realistischer Einschätzung.
Die vollständige Studie kann auf der Webseite des Fraunhofer IPA Instituts hier angefordert werden.