Exoskelette, Cobots & AGVs
Was Comau mit seinem Humanufacturing-Konzept bewegen will
Das Exoskelett Mate, das fahrerlose Transportsystem Agile1500 und Aura, ein kollaborierender Roboter mit sensorbasierter Außenhülle: All das ist Teil von Comaus Strategie, Mensch und Automatisierung zu vereinen.
Eine Sache ist für Massimo Calvetto klar: Die menschenleere Fabrik wird es so schnell nicht geben, womöglich nie. Im Gegenteil, der Mensch wird auch in Zukunft im Mittelpunkt stehen. „Deshalb nennen wir unsere Strategie Humanufacturing“, erklärt Calvetto, Vertriebsleiter Robotik beim italienischen Automatisierungs- und Robotikspezialisten Comau. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, weist er gleich auf ein Produkt hin, das wenig mit Elektronik, dafür aber viel mit dem Menschen bei der Arbeit zu tun hat: Mate, Comaus erstes Exoskelett.
Ergonomische Unterstützung ohne Strom
Auf den ersten Blick sieht Mate aus wie ein eckiger Rucksack ohne Beutel. Spannend wird es, wenn man ihn anzieht. Denn dann werden die Arme mit sanftem Druck nach oben unterstützt, ohne die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Das Exoskelett wurde im Comau Innovation Center in Pontedera (bei Pisa, Italien) im Auftrag von Comaus Mutterkonzern Fiat entwickelt, um Arbeiter zu unterstützen, die in der Fahrzeugmontage unter der Karosserie stehen und über Kopf zum Beispiel Schrauben anbringen müssen. Diese Tätigkeit ist, obwohl auf den ersten Blick nicht überaus anstrengend, doch auf Dauer recht ermüdend. Mate soll nun die Arbeitsqualität durch eine kontinuierliche Bewegungsunterstützung sowohl bei repetitiven als auch täglichen Aufgaben auf effiziente und ergonomische Weise verbessern.
Das Spannende dabei: Das Exoskelett Mate arbeitet rein passiv. Es enthält keinerlei Motoren oder Batterien und verleiht den Arbeitern im Gegensatz zu anderen Konzepten damit auch keine übermenschlichen Kräfte. Es nutzt eine passive Federstruktur und bietet damit im Wesentlichen eine trageleichte, atmungsaktive und effektive Haltungsunterstützung. Um das zu erreichen, hat Comau mit Össur, einem Unternehmen im Bereich der nicht-invasiven Orthopädie sowie mit Iuvo, einem auf Wearable-Technologien spezialisierten Spin-off-Unternehmen des BioRobotics Institute (Scuola Superiore Sant’Anna) zusammengearbeitet. „Wir haben herausgefunden, dass keine Elemente über der Schulter angeordnet sein dürfen, um die effektive und gefühlte Bewegungsfreiheit dieses Gelenks nicht einzuschränken“, erklärt Massimo Calvetto. „Daher haben wir die Federpakete hinter das Schulterblatt sowie auf die Oberarme verlegt.“ Mate kann so jede Bewegung der Schulter vollständig nachbilden und ist dem Körper dabei wie eine zweite Haut angepasst. Der Nutzer kann sich das Gerät alleine anziehen, die Unterstützung kann er in sieben Stufen regulieren. Damit lässt sich das System nicht nur an unterschiedliche Nutzer anpassen, beispielsweise kann auch die Hand, die öfter oben arbeitet, stärker unterstützt werden als jene, die meist Bewegungen unter der Schulterlinie ausführt.
Der Effekt des Exoskeletts ist, wenn man es einmal anprobiert, erstaunlich. Vor allem Tätigkeiten, bei denen die Arme auf Schulterhöhe oder darüber gehoben werden müssen, profitieren von dem Gerät. „Mittlerweile haben wir Anfragen aus vielen Branchen, sogar außerhalb der Industrie“, gibt Calvetto an. „Mate kann Reinigungspersonal beim Fensterputzen ebenso helfen wie Zahnärzten, die oft über orthopädische Probleme aufgrund der Arbeitshaltung klagen.“ Seit dem Launch von Mate auf der Automatica 2018 sei die Nachfrage sehr groß, so der Vertriebsleiter. „Deshalb suchen wir zur optimalen Betreuung der Mate-Kunden nun auch Vertriebspartner, vor allem für den deutschen Markt.“
Humane Technologie-Strategie trifft Automatisierung
Mate ist ein wichtiger Bestandteil der Humanufacturing-Technology-Strategie von Comau, einem Konzept, bei dem Menschen die Hauptakteure in der intelligenten Fabrik zusammen mit hochmodernen, digitalen Werkzeugen, Basistechnologien und intelligenter Industrierobotik im Rahmen eines vernetzten Produktionssystems sind. Es ist das erste aus einer Reihe geplanter tragbarer Robotik-Konzepte, um die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine in unterschiedlichen Sektoren voranzubringen und weiterzuentwickeln. Dennoch muss auch die Produktivität stimmen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Hierfür bietet Comau eine Reihe vonTechnologien an, die im Rahmen eines offenen Automatisierungskonzepts Mensch und Maschine verbinden. Zum Beispiel fahrerlose Transportsysteme.
Agile1500 nennt sich das erste automatisierte Transportsystem innerhalb Comaus neuer AGV-Plattform. Das modulare, skalierbare und vollständig rekonfigurierbare System kann bis zu 1500 kg mit einer Maximalgeschwindigkeit von 1,7 m/s transportieren oder alternativ bis zu fünf Tonnen als Zugmaschine ziehen. Mit diesen Eigenschaften kann das neue AGV nicht nur Kerntätigkeiten wie die Just-in-Time- und Just-in-Sequence-Produktion vereinfachen, sondern auch werksinterne Logistikabläufe optimieren sowie die Lagerverwaltung und die Produktionseffizienz insgesamt verbessern. Das Agile1500 ist mit zahlreichen Navigationssystemen kompatibel, die sowohl natürliche Orientierungshilfen (Wände, Gegenstände usw.) als auch vorgegebene Punkte (Magnetpunkte oder Magnetbänder) verwenden. Dank fortschrittlicher Sicherheitsfunktionen und einem integrierten Laserscanner, der das AGV stoppt, sobald ein Hindernis in seinem Fahrweg auftaucht, kann sich das System auch autonom bewegen.
Menschen und Roboter bei Bedarf Hand in Hand
Ein weiteres Element, um den Menschen mit einer automatisierten Umgebung zu verbinden, ist Aura. So nennt sich Comaus Herangehenswese an das Thema Mensch-Roboter-Kollaboration. „Aura ist der kollaborative Roboter mit der derzeit marktweit größten Nutzlast und Reichweite von 170 kg und 2,8 Meter“, betont Massimo Calvetto. „Er kann auch im Standard-Industriemodus gefahren werden, wenn kein Kollaborationsmodus erforderlich ist, und seine Sensorhaut bietet Kollisionsvermeidung sowohl beim Roboter als auch bei den montierten Werkzeugen.“
Mit sechs Sicherheitsabstufungen und einem modularen Ansatz unterstützt Aura den Menschen bei der Durchführung manueller Tätigkeiten, und dies mit voller Sicherheit und bei vollständiger Nähe ohne irgendeine erforderliche Absperrung. Das System ist flexibel genug, um mit kollaborativen Abläufen jeder Art zurechtzukommen. Es kann über intuitive Schnittstellen leicht programmiert oder vom Bediener manuell geführt werden. Die leistungsfähigen Näherungssensoren, die in der speziellen Haut integriert sind, erkennen bereits kontaktlos Annäherungen und auch Berührungen. Dadurch können die Sicherheitssysteme rechtzeitig reagieren, um Kollisionen zu vermeiden. Auch das ist ein Schritt in Richtung Humanufacturing.