Vernetzung für den Mehrwert
Digitalisierung zwischen Kompetenzaufbau und -einkauf
Wo steht die Digitalisierung heute und wie stellen sich Hersteller aus der Antriebstechnik und Automation auf den letzten Metern auf? ke NEXT hat Spezialisten von Rexroth, STW, Schunk, Wittenstein und Baumer befragt.
Sieht man sich das Programm des diesjährigen Automatisierungstreffs Böblingen an, genauer gesagt: den Workshop „Geschäftsmodellinnovationen für Industrie 4.0“, so erhält man den Eindruck, dass es für etliche Unternehmen aus der Branche aktuell noch ein Weg bis zur Umsetzung von Industrie 4.0 im eigenen Unternehmen ist. Diesen Eindruck bestätigt auch Hans Wiedemann, Head of Marketing bei Sensor-Technik Wiedemann: „Wir sehen heute, dass sich viele Firmen in der Findungsphase befinden. Diese sind zwar oft noch technisch getrieben, dienen aber oft auch der internen Vermarktung und der Evaluierung der IT-Landschaft. Parallel steigt die Anfrage nach Workshops, in denen Geschäftsmodelle entwickelt werden sollen.“
Sein Kollege Thorsten Walter, Head of Digital Solutions, sieht die ersten praktische Umsetzung des Trendthemas: „In den von STW abgedeckten Marktsegmenten Baumaschinen- und Agrarfahrzeuge werden die ersten Ideen für digitale Dienstleistungen umgesetzt. Neue Angebote, Bezahl- und Verleihmodelle entstehen und es findet ein Technologietransfer aus den Bereichen Consumer, Automotive und Produktion in Richtung Maschinenbau statt. Datenanalyse, vorausschauende Wartung und Steigerung der Effektivität sind wichtige Themen, die auf den inzwischen geschaffenen Grundlagen aufbauen.“ Was danach kommt, skizziert Hans Wiedemann: „In fünf Jahren werden wir also eine hohe Abdeckung der Vernetzung sehen. Die Maschinen werden vorbereitet sein, die Hersteller nutzen die Daten zu technischen Zwecken und die Besitzer bieten Dienste an.“ Dies sieht auch Thomas Fechner, Leiter des Produktbereichs New Business bei Bosch Rexroth so. Für Fechner geht es nun sukzessive darum, die Fabrik der Zukunft zu vernetzen, den Wertstrom zu digitalisieren, Transparenz zu schaffen und Flexibilität zu maximieren.
Offen sein für Neues
Einen großen Anteil daran haben werden Fechners Meinung nach echtzeitfähige Standards wie die 5G-Technologie, deren erste Frequenzen noch im ersten Quartal 2019 auf den Markt kommen sollen. Entscheidend sei ohnehin, dass sich die Branche hier und auch bei weiteren wichtigen Standards herstellerübergreifend einige, so Fechner weiter. Einmal mehr wird deutlich, wie wichtig es ist, das Thema Digitalisierung nicht nur in technologischer Hinsicht ganzheitlich zu denken. „Bis hinunter zu einzelnen digitalen Lösungen, die für sich und in Kombination alle Vorteile der Digitalisierung erschließen müssen“, erklärt Fechner. Lösungen, die bestehende Infrastrukturen mitnehmen, wie die IoT Gateway Software von Bosch Rexroth, sind hier gefragt. Anwender können die Konfiguration und Inbetriebnahme schnell und völlig programmierfrei über das integrierte Web-Interface realisieren – ohne jegliche Veränderung bestehender Maschinenprogramme.
„Von zunehmender Bedeutung ist die Offenheit“, erklärt dann auch Hans Wiedemann von STW und begründet: „da geschlossene Lösungen Weiterentwicklungen und Anpassungen an neue Marktanforderungen bremsen und meist mit hohen Kosten verbunden sind.“ Und dann wären da ja noch die vielen weichen Faktoren, die die digitale Transformation mit sich bringt. Für Patrick Hantschel, Leiter Digitalization Center bei Wittenstein braucht es deshalb nicht nur offene Lösungen, sondern auch eine gewisse Offenheit der Mitarbeiter: „Manche Produktinnovation wird zuvor nicht erwartete Prozessinnovationen ermöglichen, sodass die Digitalisierung auch eine neue Geisteshaltung erfordert, die nicht zuerst fragt, was etwas bringt, sondern neue Entwicklungen ergebnisoffen begleitet.“
Auf diesem Weg gelte es die Komplexität gering zu halten, erklärt Thomas Fechner von Bosch Rexroth – für Mitarbeiter und natürlich Anwender: „Aktuell statten Hersteller wie Rexroth alle Technologiefelder, auch die Hydraulik, die Mechanik und die Montagetechnik, mit eigener Intelligenz aus und machen sie digital ansprechbar. Wo heute noch händisch Informationen zusammengetragen werden, schaffen digitale Lösungen die Transparenz aller relevanten Fertigungsdaten auf Knopfdruck. Das bedeutet, dass die Komplexität der Systeme für den Anwender in den nächsten Jahren immer besser beherrschbar wird.“ Dabei sollten Anwender auch offen dafür sein, digitale Kompetenzen einzukaufen. Der Anspruch müsse es nicht sein, alles selbst zu machen, erklärt Thorsten Walter von STW: „Es wird sich zeigen, dass die Entscheidung „Make or Buy“ enorme Tragweite sowohl auf die finanzielle, als auch auf die zeitliche Umsetzung hat. IoT wird mehr und mehr zur Commodity, einem Standardprodukt also, das einfach eingekauft werden kann.“
Aufbau von Know-how
Auch wenn die Digitalisierung auf allen Kanälen gehypt wird, wird sich für Karsten Just, CMO und Mitglied des Vorstandes bei der Baumer Group, eine Sache nicht ändern: „Der Mehrwert für den Betreiber von Produktionsanlagen oder auch den Maschinen- und Anlagenbauer steht ganz klar im Vordergrund und wird auch zukünftig die Triebfeder der digitalen Transformation sein.“ Henrik A. Schunk, Geschäftsführer des Greiftechnikspezialisten Schunk, stimmt Fechner hier zu. Die Digitalisierung sei kein Selbstzweck erklärt der Unternehmer. Vielmehr seien die Mehrwerte offensichtlich: „Künftig werden Komponenten auf ihrem Weg vom Rohmaterial zum fertigen Endprodukt alle nötigen Daten mit sich führen und die erforderlichen Bearbeitungs-, Montage- und Verpackungsprozesse selbst anstoßen“, erklärt Schunk und fährt fort: „Mannlose Transportmittel werden sich frei zwischen den einzelnen Stationen bewegen und durch die vom Transportbehälter oder auch Werkstück eingespeisten Informationen selbst zum Ziel navigieren. Zudem ermöglichen modular aufgebaute Produktionsanlagen ein hohes Maß an Flexibilität: Fertigungsmodule können getauscht, beliebig kombiniert und ergänzt werden.“ Auf diesem Weg werde eine hohe Variantenvielfalt in noch kürzeren Produktionszeiten, eine hohe Anlagenverfügbarkeit und zugleich eine hohe Transparenz erzielt. Maschinenkomponenten könnten so permanent wichtige Parameter zum Prozess und den Bauteilen erfassen, sich selbständig und in Echtzeit an die jeweiligen Parameter anpassen, automatisch NIO-Teile ausschleusen oder bei Störungen den entsprechenden Support anfordern.
Wissen wollten wir natürlich auch, mit welchen praktischen Lösungen sich die Befragten für die digitale Transformation aufstellen. Schunk setzt hier neben dem Thema Digital Twin auf smarte Greifsysteme und Spannmittel: So sind zahlreiche Schunk-Komponenten bereits heute als digitale Zwillinge online verfügbar. Henrik A. Schunk erklärt: „Darunter verstehen wir virtuelle Baugruppen und Komponenten, die sich hinsichtlich der Schnittstellen, ihres physikalischen Verhaltens und der Parametrierung im Steuerungsumfeld wie ihre realen Vorbilder verhalten. Smarte Schunk Greifer erfassen systematisch Informationen über das gegriffene Bauteil, den Prozess und die Komponenten, verarbeiten diese und führen entsprechende Reaktionen aus.“ Sämtliche Prozessdaten werden so auf Ebene des Greifers in unmittelbar nutzbare Informationen umgewandelt und stehen über eine einzige Schnittstelle sowohl innerhalb der Anlage zur Inline-Prozessregelung sowie auf Cloudlösungen als Grundlage für die Prozessoptimierung zur Verfügung. Der smarte Präzisionswerkzeughalter iTendo von Schunk wiederum ermöglicht eine Echtzeitprozessüberwachung und -regelung unmittelbar am Werkzeug.
Baumer baut sein Portfolio an IO-Link Sensoren konsequent aus. „Insbesondere im Bereich der einfachen Sensoren, beispielsweise der induktiven Alpha-Prox-Sensoren“, erklärt Karsten Just. Hierfür hat Baumer die Sensoren mit Sekundärfunktionen und Messwerten erweitert, mit denen Anwender die Möglichkeit haben, Predictive Maintenance oder Big Data Szenarien realisieren zu können. „In leistungsfähigeren Sensor-Plattformen sehen wir Ethernet Schnittstellen mit dem OPC-UA-Protokoll als längerfristigen, globalen Standard“, fügt Just hinzu.
Als Berater zur digitalen Transformation stellt sich STW für seine Kunden auf: „Dafür gibt es kein Patentrezept und jeder Fall erfordert eine individuelle Lösung. Es hat sich gezeigt, dass konkrete Ideen und Use-Cases wichtige Elemente zur Erstellung einer Digitalisierungsstrategie sind.“
Bosch Rexroth setzt neben smarten Lösungen wie der IoT-Gateway-Software zum Beispiel auf digitale Assistenten, wie die intelligente Montagestation Active Assist, die Mitarbeiter durch die Arbeitsschritte einer variantenreichen Montage führen. Thomas Fechner erklärt: „Die Informationen aller Maschinen und Montageplätze erfasst die interaktive Kommunikationsplattform Active Cockpit. Sie visualisiert in Echtzeit alle relevanten Fertigungsdaten und schafft eine bislang nicht erreichbare Transparenz. Damit können die Mitarbeiter vor Ort die Arbeitsabläufe kontinuierlich verbessern.“
Auf intelligente Antriebstechnik setzt Wittenstein. Patrick Hantschel, Leiter Digitalization Center bei Wittenstein, skizziert den Fokus des Antriebstechnikspezialisten: „Daten rund um den Antrieb werden zu einem wertvollen Rohstoff, der die Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen wesentlich verbessert, zum Beispiel durch eine vorausschauende Wartung. Insbesondere Sensor- und antriebstechnische Komponenten werden in Zukunft Datenschätze und Informationen generieren, die einen wertvollen Nutzen für Kunden und Anwender darstellen werden.“ Dass alle Befragten inzwischen eigene Kompetenzteams zur digitalen Transformation aufgebaut haben und weiter aufbauen wollen, unterstreicht den Service-Anspruch der Hersteller nicht nur Produkte, sondern in Zukunft auch verstärkt Beratung verkaufen zu können.