Leuchtende AI-Buchstaben vor einem digitalen Schaltkreis-Hintergrund, symbolisieren den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Industrie

Künstliche Intelligenz treibt die digitale Transformation in der industriellen Entwicklung und Produktion voran. (Bild: Stock.Adobe.com - Li)

KI ist in der Industrie kein ganz neues Thema, hat aber mit der generativen KI seit drei Jahren noch einmal eine völlig neue Dynamik bekommen. Wie ist aktuell der Stand?
Jana Kirchheim: Die entscheidende Erkenntnis ist: Künstliche Intelligenz ist in der Industrie keine Theorie mehr – wir sind mitten in der Umsetzung 

Woran machen Sie diese Erkenntnis fest?
Kirchheim: Besonders bei innovationsführenden Unternehmen in der Industrie sehen wir: Sie setzen KI jetzt ganz konkret ein  – und zwar mit Nachdruck. In unseren Projekten sowohl mit großen als auch mit mittelständischen Unternehmen in Deutschland wird klar: Der Wille zur Veränderung ist da, und er wird in die Tat umgesetzt. Diese Unternehmen warten nicht ab, sie gestalten aktiv. Und das mit beeindruckendem Tempo: Wo früher KI-Projekte oft 18 Monate oder länger dauerten, zeigen sich heute schon nach zwei bis drei Monaten erste messbare Ergebnisse. Das ist nicht nur ein technologischer Fortschritt, sondern ein echter Kulturwandel in der Industrie.

Zur Person: Dr. Jana Kirchheim

Dr. Jana Kirchheim (Bild: Microsoft)

Dr. Jana Kirchheim ist Industry and Partner Sales Lead bei Microsoft Deutschland, wo sie das Wachstum der digitalen Fertigung vorantreibt. Sie hat einen Doktortitel in Technologie- und Innovationsmanagement von der WHU – Otto Beisheim School of Management. In ihrer beruflichen Laufbahn nahm sie bereits verschiedene Führungspositionen ein, darunter als Senior Director Manufacturing Industry and Partner Sales bei Microsoft Deutschland sowie als Customer Digitalization Lead for Manufacturing EMEA von Microsoft und Executive Program Manager Digitalization - IoT bei T-Systems International. Dr. Kirchheim hat umfangreiche Erfahrung in der digitalen Transformation und Innovation, besonders im Bereich der industriellen IoT und Cloud-Lösungen.

In welchen Bereichen der Industrie finden diese KI-Projekte vornehmlich statt? 
Kirchheim: Entlang der gesamten industriellen Wertschöpfungskette sehen wir spannende Einsatzfelder – und einer der größten Hebel liegt im Bereich Digital Engineering. Dort verändert KI gerade fundamental, wie entwickelt und konstruiert wird. Ein gutes Beispiel ist die Integration unseres Copiloten in CAD-Software wie Siemens NX X, die dadurch intuitiver, effizienter und zugänglicher wird. 

Wie sieht das konkret aus?
Kirchheim: Durch generative KI können Konstrukteure heute in ihrer Sprache mit der Software interagieren – ganz natürlich, wie im Chat. Sie sagen zum Beispiel: „Dieses Bauteil ist noch nicht optimal – ändere das bitte“. Oder sie fragen, ob es für eine bestimmte Konstruktionsaufgabe etablierte Standards gibt und was dabei zu beachten ist. Die KI bringt daraufhin nicht nur passende Antworten, sondern kann auch konkrete Lösungsvorschläge liefern, die auf Best Practices basieren. Das reduziert Fehler und Nacharbeit erheblich – und spart vor allem wertvolle Zeit. Die Produktentwicklung wird dadurch nicht nur schneller, sondern auch intelligenter. 

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Wie kann der Konstrukteur sicher sein, dass die KI dabei wirklich korrekt arbeitet?
Kirchheim: Zwei Dinge sind dabei entscheidend: erstens das sogenannte Grounding. Das heißt ganz konkret: Der Copilot greift ausschließlich auf die validierten Maschinendaten zu, und nicht auf frei verfügbare Inhalte aus dem Internet. Das sorgt dafür, dass jede Antwort auf verlässlichem, unternehmensspezifischem Wissen basiert. Wir von Microsoft bringen unsere KI-Kompetenz ein, um diesen Datenschatz durch natürliche Sprache zugänglich zu machen. Es ist eine perfekte Kombination: die Industrie-Erfahrung und Datenhoheit unserer Kunden und Partner, verbunden mit der technologischen Intelligenz unserer KI. 

Und der zweite Faktor…?
Kirchheim:ist der Mitarbeiter selbst, der das Ergebnis der KI natürlich noch einmal überprüfen muss.  

Dieses Grounding hilft mir aber doch nur bedingt, wenn ich als Anwender von Siemens-Software etwa in einem Technologie-Bereich tätig bin, der von diesen Siemens-Daten nicht abgedeckt ist.
Kirchheim: In unserer Azure AI Foundry bieten Partnerunternehmen vortrainierte KI-Modelle an, die durch ihre Produktionsdaten sowie freigegebene Daten ihrer Kunden mit fundiertem Maschinenbauwissen angereichert wurden. Diese Modelle sind eine starke Ausgangsbasis und sparen wertvolle Zeit bei der Einführung. Die Anwenderunternehmen können sie anschließend gezielt mit ihren eigenen Daten weitertrainieren – für spezifische Technologien, individuelle Prozesse oder hochspezialisierte Aufgabenstellungen. So entsteht industrielle KI mit direktem Praxisbezug – effizient, skalierbar und maßgeschneidert 

Gibt es dafür ein Anwenderbeispiel?
Kirchheim: Ja, ein besonders spannendes Beispiel ist die KI-Lösung von Harting, einem führenden Spezialisten für industrielle Verbindungstechnik. Das Unternehmen kombiniert seine eigenen, hochqualitativen Daten über Steckverbinder mit unserer generativen KI und der NX-Software von Siemens, um durch Eingaben in natürlicher Sprache völlig neue Designs zu entwickeln. Ingenieurinnen und Ingenieure können der Software beispielsweise einfach sagen: „Mach den Stecker kompakter“, und sofort erhalten sie fundierte Vorschläge in 2D und sogar 3D. Dabei liefert die KI sogar die Begründung für ihr Ergebnis. Dank der strukturierten, domänenspezifischen Datenbasis von Harting konnte in kürzester Zeit eine neue Generation von Steckverbindern entstehen, die nahezu vollständig den hohen Qualitätsanforderungen entspricht und nur noch wenig menschliche Nacharbeit erfordert. Das zeigt, wie leistungsfähig KI wird, wenn sie auf exzellente Industriedaten trifft. 

Automation NEXT Conference

Entdecken Sie die Zukunft der Automatisierung auf der Automation NEXT Conference. Diese Veranstaltung am 18. November 2025 in Ludwigsburg bringt Branchenexperten zusammen, um über neueste Trends und Technologien in der Automatisierung zu diskutieren.

Die Themenbereiche umfassen Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Cybersicherheit, Edge Computing, Robotik und nachhaltige Automatisierungslösungen. Die Veranstaltung bietet eine einzigartige Plattform für Wissensaustausch, Netzwerken und Inspiration für Fachleute aus der Automatisierungsbranche.

Für weitere Informationen besuchen Sie bitte Automation NEXT Conference.

Macht die KI das gleiche wie ein Mensch, nur schneller - oder erledigt sie Aufgaben auch besser?
Kirchheim: Die KI ist nicht nur schneller. Sie macht auch weniger Fehler, besonders bei repetitiven Aufgaben. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das KI-gestützte Anforderungsmanagement bei GEA, einem führenden Unternehmen im Bereich Separationstechnologien. Die oft individuell entwickelten Anlagen von GEA sind hochkomplex und eine Kundenanfrage kann bis zu 10.000 Seiten mit mehreren tausend Anforderungen umfassen. Bisher wurden diese Informationen überwiegend manuell ausgewertet – ein extrem aufwendiger Prozess. 

Für solche Aufgaben ist ein KI-Copilot ideal: Er analysiert große Datenmengen in kürzester Zeit, fasst sie strukturiert zusammen und stellt sie dem Konstrukteur mit Verweisen auf die Ursprungsquellen bereit. Gemeinsam mit GEA und NTT DATA haben wir eine Lösung entwickelt, die technische Spezifikationen automatisch analysiert, relevante Anforderungen extrahiert und den zuständigen Fachbereichen zuordnet. Dadurch wird die Bearbeitung komplexer Ausschreibungen deutlich beschleunigt, das Fehlerrisiko reduziert und die Aufgabenverteilung klarer und effizienter gestaltet. 

Um in der erwähnten Wertschöpfungskette einen Schritt weiter zu gehen: Wie sieht es denn mit dem KI-Einsatz in der Produktion selbst aus?
Kirchheim: Dort findet durch KI eine gewisse Demokratisierung statt.  

Das müssen Sie erklären……?
Kirchheim: Früher musste ein Maschinenbediener bei einem Problem in der Produktion seinen Werksleiter informieren. Die Analyse fand dann an anderer Stelle oft zentralisiert statt – mit dem Ergebnis, dass eine Lösung erst Tage später zurück in die Produktion kam. Heute läuft das anders: Durch neue Tools wie unseren Factory Operations Agent haben die Mitarbeiter direkt am Arbeitsplatz den Zugriff auf die Produktionsdaten – in Echtzeit. Sie können in natürlicher Sprache Fragen stellen, Fehlerursachen analysieren und direkt Lösungsvorschläge erarbeiten. Und zwar ohne tiefgehende IT- oder Data-Science-Ausbildung! Dadurch wird Know-how unmittelbar dort nutzbar, wo es gebraucht wird: in der Produktion. 

Viele Unternehmen sind ja von einem starken Fachkräftemangel geplagt. Kann KI hier einen Ausweg bieten? 
Kirchheim: Ja, besonders durch den Einsatz spezialisierter KI-Agenten, die wertvolles Expertenwissen dauerhaft zugänglich machen. Ein besonders gelungenes Beispiel liefert Toyota: Das Unternehmen beginnt systematisch, das Know-how erfahrener Mitarbeitender, die kurz vor dem Ruhestand stehen, durch strukturierte Interviews zu sichern. Auf dieser Basis entstehen KI-Agenten mit klar definierten Rollen – etwa für Motorleistung, Emissionsvorgaben oder Designoptimierung. Ein Ingenieur kann beispielsweise zwei dieser Agenten gezielt ansprechen: Der eine macht Vorschläge zur Leistungssteigerung des Motors, während der andere parallel prüft, ob die Änderungen mit den aktuellen Emissionsvorgaben vereinbar sind. So wird Expertenwissen nicht nur bewahrt, sondern aktiv nutzbar gemacht – ein wichtiger Beitrag, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen. 

Und das funktioniert wirklich?
Kirchheim: Ja, sehr gut sogar. Ein anderes Beispiel: Ein Kunde hatte ein systemisches Problem beim Schweißen. Sechs menschliche Experten hatten ein Jahr gebraucht, um die zugrundeliegenden Ursachen zu finden. Der Kunde wollte dann wissen, wie schnell und zuverlässig sich dieselbe Aufgabe durch KI-Agenten lösen lässt. Wir haben dafür ein „Expertenteam“ aus mehreren spezialisierten KI-Agenten zusammengestellt und ihnen alle verfügbaren Daten bereitgestellt. Sie kamen zu derselben Lösung, allerdings schon nach wenigen Tagen. 

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins Automation NEXT. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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