Dezentral ist die neue Steuerung

Automatisierungs-Trends: Dezentral ist die neue Steuerung

Christian Heller,
„Bei der Entwicklung von Automatisierungs- und Sicherheitslösungen spielen dezentrale Strukturen eine immer größere Rolle. Um das zu verarbeitende Datenvolumen und den Datentraffic zu begrenzen, müssen nicht alle Daten zur übergeordneten Ebene in der Automatisierungspyramide weitergeleitet werden. Deshalb wählen Konstrukteure auch bei komplexen Maschinen oft eine dezentrale Steuerungsarchitektur.“ - Christian Heller, Leiter Produktmanagement bei Schmersal.
Roland van Mark,
„Der Trend geht zu immer mehr Intelligenz in den Komponenten, die zum einen die Vorverarbeitung der Daten übernehmen und zum andern schon selbst Steuerungsfunktionen übernehmen können.“ - Roland van Mark, Produktmanager Industrie-PC bei Beckhoff Automation.
Michael Gulsch,
„Die Chancen, die Big-Data-Analysen in puncto Effektivität und Wartung der Produktion eröffnen, lassen sich auf die funktionale Sicherheit übertragen. Hier werden zukünftig dynamische Prozess- und Diagnosedaten bis hin zu sicherheitsrelevanten Kennwerten von Maschinenmodulen in die Bewertung und Sicherstellung der Zielgrößen der funktionalen Sicherheit einfließen können.“ - Michael Gulsch, Markteting PLC, Control System bei Phoenix Contact.
Heinz Eisenbeiss,
„Die kürzlich bekanntgewordenen Sicherheitslücken in den Chips machen deutlich, dass Schwachstellen wohl nie ganz ausgeschlossen werden können. Aber genau hier zeigt sich die Stärke eines ganzheitlich ausgerichteten Defense-in-Depth-Konzeptes, mit dem eine Ausnutzung solcher Schwachstellen unterbunden werden kann.“ - Heinz Eisenbeiss, Leiter Marketing Factory Automation bei der Siemens-Division Digital Factory.
Dr. Jürgen K. Weinhofer,
„Die Integration der Sicherheitsfunktionen und der mechatronischen Ansätze wird immer wichtiger. Das RAMI-4.0-Modell bietet die Integration verschiedenster Maschinen, Geräte und auch Steuerungen mittels standardisierter Modelle und offener Schnittstellen. Dies erleichtert die Verbindung und auch die schnelle dynamische Rekonfiguration von Anlagen und vereinfacht die Integration neuer Lösungen.“ - Dr. Jürgen K. Weinhofer, Vice President Common Architecture & Technology bei Rockwell Automation.
Armin Glaser,
„Dezentral aufgebauten Multi-Master-Systeme eignen sich bevorzugt für verkettete Maschinen oder Anlagen sowie Projekte, bei denen Skalierbarkeit und Erweiterbarkeit eine wichtige Rolle spielen. Ziel dabei ist es, möglichst viele Teile identisch wiederverwenden zu können. So lassen sich Automatisierungsprojekte einfacher standardisieren.“ - Armin Glaser, Leiter Produktmanagement bei Pilz.

Mit der Digitalisierung der Wertschöpfungskette verändern sich die Ansprüche an den Shopfloor. Waren früher Qualität und Produktivität die Treiber, sind es heute Konzepte für modulare Produktion, Cloud-Dienste und serviceorientierte Geschäftsmodelle.

Viele Unternehmen müssen heute auf den raschen Wandel der Markterfordernisse reagieren. Daher werden Maschinen und Anlagen immer häufiger modular aufgebaut und mit flexiblen, dezentral arbeitenden Automatisierungslösungen versehen. „Während die klassischen Steuerungssysteme wie Large und Small PLCs in den vergangenen Jahren kaum signifikante Steigerungsraten vorweisen konnten, wuchs das Segment der Micro PLCs seit 2009 um mehr als 300 Prozent“, stellt der Vorsitzende der Fachabteilung Elektronische Industriesteuerungen im ZVEI-Fachverband Automation, Martin Müller, fest. Konzepte für die modulare Produktion, die Anbindung der Maschinen und Anlagen an Cloud-Dienste sowie serviceorientierte Geschäftsmodelle erfordern Steuerungen, die einerseits sehr viel dezentraler eingesetzt werden als bisher und andererseits leistungsfähig genug sind, um alle IT-Schnittstellen zu bedienen.

„Damit einhergehend spielt auch das Thema funktionale Sicherheit eine immer größere Rolle, was sich in enormen Steigerungsraten bei den Stückzahlen für Safety PLCs seit dem Jahr 2009 niederschlägt“, so Müller weiter. Viele Steuerungsanbieter haben ihr Portfolio auf diese Anforderungen ausgerichtet und integrieren moderne, sichere Steuerungstechnik. Schmersal zeigt dies mit seiner neuesten Generation der Sicherheitssteuerung Protect PSC1. Kernkomponenten sind die frei programmierbare Kompaktsteuerungen C-10 und C-100, deren sichere IO-Erweiterungsmodule sowohl zentral im Schaltschrank als auch dezentral installiert werden können. Die dezentralen Module kommunizieren über Ethernet SDDC (Safe Device to Device Communication) mit der Kompaktsteuerung. Ein universelles Kommunikationsinterface ermöglicht die einfache Konfiguration aller gängigen Feldbusprotokolle per Software.

Mehr funktionale Sicherheit

Schneider Electric entwickelte mit dem Modicon M580 Safety eine Prozesssteuerung, mit der sowohl Standard-Prozessfunktionen als auch Sicherheitsanwendungen gleichzeitig und gemäß SIL 3/PLe ausgeführt werden können. Safety-Funktionen und Prozesssteuerung laufen auf jeweils separaten, unabhängigen Prozessoren, die sich aber in einer gemeinsamen Programmierumgebung befinden.

Auch Rockwell Automation integriert Sicherheitsfunktionen in die Steuerungen seiner Produktreihe GuardLogix 5580 bis PLe/SIL 3 und in Compact GuardLogix 5380 bis PLd/SIL 2. „Die neue Steuerungsgeneration ist nicht nur deutlich schneller, sondern hat auch erweiterte Sicherheitsfunktionen für Motion Control integriert und lässt sich daher mit den neuesten Kinetix 5700-Antrieben kombinieren“, sagt Dr. Jürgen K. Weinhofer, Vice President Common Architecture & Technology bei Rockwell Automation.

Modicon M580 Safety,
Die Modicon M580 Safety von Schneider Electric vereint Prozesssteuerung und funktionale Sicherheit.

Pilz bietet für das Automatisierungssystem PSS 4000 jetzt eine Sicherheitssteuerung in Schutzart IP67, die PSS67 PLC, an. Durch die vollvergossene Modulelektronik ist diese Steuerung mechanisch besonders robust, geschützt gegen Staub und zeitweiliges Untertauchen sowie einsetzbar bei Temperaturen von -30°C bis +60°C. „Die Steuerung ist konzipiert für die Industrieautomation außerhalb des Schaltschranks und lässt sich genau dort einbauen, wo sie benötigt wird“, erläutert Armin Glaser, Leiter Produktmanagement bei Pilz, und ergänzt: „Dies reduziert den Verkabelungsaufwand deutlich und erhöht die Flexibilität bei der Umsetzung modularer Anlagen-Architekturen.“ Schmersal definiert Dezentralität so, dass eine Kompaktsteuerung PSC1-C-100 im Schaltschrank installiert wird und mehrere dezentrale Erweiterungsmodule in den Unterverteilungen angebracht werden. Eine sichere Remote-IO-Kommunikation gewährleistet den sicheren Signalaustausch zu den dezentralen Erweiterungsmodulen.

Mikro liegt im Trend

Controller AXC F 2152,
Seit Ende 2017 ist der Controller AXC F 2152 von Phoenix Contact als erste Steuerung mit PLCnext Technology erhältlich.

Als potenzielle Elemente einer Industrie-4.0-Produktionskette brauchen die Steuerungen demnächst cyber-physische Fähigkeiten, um im Verbund kommunizieren und interagieren zu können. Wenn die Datenübertragung in die Cloud performant genug ist, ist das sicherlich der kostengünstigste Weg. In allen anderen Fällen und bei Altanlagen müssen die Altsteuerungen über einen Edge- oder Fog-PC angebunden werden, der auch die Daten vorverarbeitet und komprimiert und so die Komplexität bereits vor Ort reduziert.

Beckhoff entwickelte hierfür die ultrakompakte IPC-Steuerung C6030. „Neben der C6015 verfügen wir nun über eine weitere Performance-Plattform, mit der selbst komplexeste Aufgaben auf kleinstem Bauraum lösbar sind“, erklärt Roland van Mark, Produktmanager Industrie-PC bei Beckhoff Automation. „Und mit dem kleineren C6015 steht in Kombination mit dem TwinCAT Data Agent ein universelles IoT-Gateway zur Verfügung. Mit ihm können auch bestehende Anlagen ideal vernetzt werden, ohne in die vorhandene Programmierung einzugreifen. Gerade in diesem Applikationsfeld ist zur Hannover Messe mit weiteren Ergänzungen in der Ultra-Kompakt-IPC-Serie zu rechnen.“

Vereinfachte Datenbankanbindungen

Siemens erweiterte die Basis der bewährten Simatic S7-1500 Advanced Controller um neue integrierte Runtimes für eigenständige Applikationen. Neben den aus Step-7-Programmen aufgerufene C/C++-Funktionen können auch unabhängige C/C++-Applikationen ablaufen. Damit vereinfachen sich Datenbankanbindungen, Protokollkonvertierungen und andere Vorverarbeitungen, weil sie direkt in der CPU stattfinden können. Security- und Treiberaktualisierungen lassen sich einfach mit einem Firmware-Update durchführen. Phoenix Contact zeigt auf der Hannover Messe Erweiterungen für die seit Kurzem verfügbare offene Plattform PLCnext Technology, auf der der Anwender beliebige Hochsprachen-Programme, Tool Chains, IEC-Engineering-Werkzeuge und modellbasierte Tools zusammen betreiben kann. Mit einer Komponente kann die Steuerung einfach an die Proficloud von Phoenix Contact angebunden werden und vorverarbeitete Daten über sie verteilen.

Wenn die gesammelten Daten über mehrere verteilte Steuerungen in einer dezentralen Architektur sofort verarbeitet werden, reduziert dies Latenzzeiten und den Bandbreitenbedarf. Auf der Analyse-Ebene können die Produktionsdaten dann im nächsten Schritt gefiltert und genau auf die jeweiligen Benchmarking-Anforderungen des Unternehmens hin ausgewertet werden. „Aus Big Data wird so Smart Data“, erläutert Heinz-Peter Hauptmanns, Produktmanager Automatisierung bei Schneider Electric, die Vorzüge. Das Unternehmen setzt mit seiner Systemarchitektur EcoStruxure genau an diesen Punkte an, denn die Architektur verbindet die Kernbereiche Vernetzte Produkte, Edge Control und Apps, Analysen und Services.

Edge-Architekturen,
B&R ermöglicht drei grundlegende Edge-Architekturen und bietet damit eine Lösung für jeden Anwendungsfall.