Verwaltungsschale liefert Grundlage
Standardisierter, automatischer und kostengünstiger Datenverkehr
Bei der Umsetzung der Industrie 4.0 zur Digitalisierung der Fertigung wurde ein Aspekt bisher oft vernachlässigt: die Infrastruktur für den Datenaustausch.
2011 wurde Industrie 4.0 ins Leben gerufen – eine Art Kondensationskeim von Ideen, Konzepten und digitalen Technologien, um die Wettbewerbsposition Deutschlands zu stärken und neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen. Als Resultat investierten viele Industrieunternehmen in Digitalisierung und Automatisierung. Einem Faktor zur erfolgreichen Implementierung von Industrie 4.0 wurde derweil wenig Beachtung geschenkt: dem standardisierten und kostengünstigen Transfer von Daten.
Nicht zuletzt dadurch ist eine Kopplung der unterschiedlichen Sektoren erst möglich, damit die All Electric Society Realität wird. Das Konzept der Verwaltungsschale respektive Asset Administration Shell (AAS) erweist sich dabei als entscheidender Befähiger.
In den Diskussionen rund um datenbasierte Dienstleistungen und Geschäftsmodelle sowie Data Analytics und KI werden oftmals Fragen wie „Wem gehören eigentlich die Daten?“ oder „Darf ich diese Daten überhaupt teilen?“ gestellt. Natürlich geht es häufig auch um technische Aspekte, beispielsweise die zugrundeliegende Infrastruktur sowie die Voraussetzungen zur Umsetzung spezifischer Use Cases.
Bei all diesen Fragen darf jedoch nicht vergessen werden, dass ein fundamentaleres Problem noch nicht gelöst ist: Der standardisierte, automatisierte und somit kostengünstige Transfer von Daten innerhalb eines Unternehmens sowie zwischen zwei oder mehreren Unternehmen. Die Analogie zur Güterlogistik, die in den 1970er-Jahren vor einer ähnlichen Situation stand, zeichnet eine treffende Perspektive und zeigt die Handlungsbedarfe – insbesondere mit Blick auf die flächendeckende Implementierung von Industrie 4.0 – auf.
Analogie zum globalen Warenverkehr
Aus volkswirtschaftlicher Perspektive muss man für Industrie 4.0 konstatieren, dass die Revolution ausgeblieben ist: In Wachstums- und Produktivitätsstatistiken sucht man vergeblich nach quantifizierten Effekten.
An zentralen Voraussetzungen – zum Beispiel einer leistungsstarken globalen Infrastruktur sowie der Verfügbarkeit von Softwareanwendungen und -diensten – liegt es nicht. Die Covid-Pandemie hat der Digitalisierung zwar einen erheblichen Schub verliehen, allerdings mehr in der Kommunikation zwischen Menschen und weniger zur nachhaltigen Gestaltung von Prozessen oder gar zur Kopplung verschiedener Sektoren.
Es bleibt die Frage: Woran fehlt es, damit Industrie 4.0 seine prophezeiten Effekte volkswirtschaftlich entfalten kann? Zur Beantwortung der Frage lohnt ein Blick in die Vergangenheit, konkret in die historische Entwicklung der globalen Logistik physischer Güter.
Die signifikante Zunahme des globalen Warenverkehrs in den letzten Jahren ist offensichtlich. Nicht zuletzt im privaten Kontext erfreuen sich die Kunden einer hohen und schnellen Verfügbarkeit unterschiedlicher Güter durch entsprechende ‚Lieferdienste‘; ungeachtet des Produktions-/ Ursprungsortes der jeweiligen Ware. Die Versand- oder Transportkosten spielen dabei eine untergeordnete Rolle, was vor allem bei Waren mit einem geringen monetären Wert verwundert. Hier stellt sich die Frage: Wie ist das kostentechnisch überhaupt zu realisieren?
Der Ökonom bezeichnet dieses Phänomen als ‚Grenzkosten annähernd Null‘, also die fast vernachlässigbaren Zusatzkosten für die Herstellung und/oder den Transport eines zusätzlichen Guts. Dem Spediteur Malcom McLean kommt in der historischen Entwicklung eine entscheidende Rolle zu. Geprägt von Regularien und schwierigen Verkehrssituationen auf dem Landweg entwickelte er die Idee, Lkw-Auflieger per Schiff zu transportieren.
Wenig später wurde der stapelbare Seefrachtcontainer geboren. Die erste Überfahrt mit mehreren Containern auf einem umgebauten Schiff erfolgte im April 1956 von Newark nach Houston – mit signifikant günstigeren Logistikkosten als damals üblich (< 10 %). Die Standardisierung war der Grundstein für einen globalen Standard, heute bekannt unter ISO 668.
Neben der Standardisierung des Containers ergab sich ein zweiter Effizienzeffekt: die standardisierte Handhabung bei unterschiedlichen Transportmöglichkeiten, beispielsweise bei Güterzügen und Lkws. Das aufwendige und folglich teure Auspacken, Umpacken und Neuverladen der Ware wurde obsolet.
Unterstützung im Bereich Cyber-Security
Der Einsatz der AAS als standardisierter Datencontainer sowie anderer Technologien hilft bei der Lösung konkreter Probleme im Unternehmenskontext. Hier ist CyberSecurity das richtige Stichwort. Produktionsverantwortliche in Unternehmen stehen – abgesehen von anderen Aufgaben – täglich vor der Herausforderung, ihre Fertigung vor Cyber-Angriffen zu schützen. Denn: Während Cyber-Kriminelle früher vornehmlich die IT-Infrastruktur angegriffen haben, verlagert sich der Fokus vermehrt auf die Operation Technology (OT).
In den Produktionen gibt es zahlreiche Geräte, die netzwerkfähig oder an das Netzwerk angebunden sind. Deren Software ist stets auf dem aktuellen Stand zu halten, denn jede Lücke stellt ein potenzielles Einfallstor für Cyber-Kriminelle dar. Bei einer Gerätezahl im mittleren dreistelligen oder gar vierstelligen Bereich je Applikation ist es fast unmöglich, die Geräte händisch auf den neusten Softwarestand anzupassen: Für jeden Artikel müsste beim jeweiligen Hersteller nach Updates gesucht werden, und das sogar einmal täglich für jeden Artikel.
Eine potenzielle Lösung des Problems könnte – in vereinfachter Form – wie folgt aussehen:
- Standardisierung einer Product Change Notification (PCN) mit einem dedizierten Teilmodell in der AAS.
- Aufbau von Datenverbindungen zwischen Unternehmen auf Basis von APIs und Datencontainern, wobei die Verbindung zu allen Unternehmen eingerichtet werden muss, deren netzwerkfähige Produkte in der Fertigung Anwendung finden.
- Pushen der Informationen zu einer Produktänderung respektive zu Software-Updates in das jeweilige Empfängersystem.
Auf diese Weise lässt sich sicherstellen, dass die Informationen zu möglichen Software-Updates nicht mehr aufwendig manuell beschafft werden müssen, sondern proaktiv in das Empfängersystem gepusht werden. Die Ausführung des Software-Updates (‚Patchen‘) obliegt dem Empfänger selbst; es erfolgt kein automatisches Deployment der neuen Softwareversion auf die Geräte. Eine vollständige Automatisierung dieses Teilprozesses gestaltet sich schwierig.
Die Asset Administration Shell als Konzept/Technologie zur Umsetzung digitaler Zwillinge bietet beste Voraussetzungen für die Standardisierung und Automatisierung der industriellen Datenlogistik. Zur aktiven Unterstützung und Realisierung des Vorhabens empfiehlt sich ein Austausch und gegebenenfalls eine Mitgliedschaft in der Industrial Digital Twin Association (kurz: IDTA).
Dr. Christoph Kelzenberg ...
... Director Digital Innovations, Chief Digital Office, Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg.