Exklusiv-Interview mit Stephan Stammberger Misumi
Fachkräftemangel, Innovationen und Nachhaltigkeit in der Fertigung
Automation NEXT im Gespräch mit Stephan Stammberger, CEO von Misumi über die Zukunft der Fertigungs-Industrie
Wie wirkt sich der Fachkräftemangel in der Fertigungsindustrie auf Misumi aus, und welche Strategien verfolgt das Unternehmen, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten?
Der Fachkräftemangel in der Fertigung ist ein globales Problem und betrifft daher auch uns bei Misumi, insbesondere in hochentwickelten Ländern wie Deutschland. Misumi besitzt hierzulande zwar keine eigenen Produktionsstandorte, aber auch in anderen Unternehmensbereichen sind wir mit einem Bewerbermarkt konfrontiert, in dem es schwierig ist, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Um der Herausforderung des Fachkräftemangels zu begegnen, setzen wir innovative Strategien wie „Standardisierungstechnologien“ und „DX“ (Digitale Transformation) ein – sowohl in den eigenen Abläufen als auch im Rahmen der Fertigungsprozesse unserer Kunden. Wir sehen den Einsatz von Technologie als Chance, den Fachkräftemangel zu lindern. Gleichzeitig sind unsere Fachkräfte unverzichtbar. Deshalb streben wir nicht an, sie mithilfe von Technologien zu ersetzen. Stattdessen wollen wir, durch die Automatisierung weniger attraktiver Aufgaben unseren Fachkräften – und denen unserer Kunden – mehr Zeit für kreative und strategische Tätigkeiten einräumen. Außerdem legen Bewerber unserer Erfahrung nach heutzutage Wert auf eine lebendige Unternehmenskultur, eine ausgewogene Work-Life-Balance und Wachstumschancen jenseits des Gehaltsschecks. Bei Misumi gewährleisten wir diese Vorteile und bieten Mitarbeitern ein modernes und innovatives Umfeld in einem eher konservativen Markt.
Welche Rolle spielen technologische Innovationen bei Misumi, insbesondere im Hinblick auf die Integration von Automatisierungstechnologien in den Fertigungsprozessen?
Technische Innovation und Automatisierung sind von zentraler Bedeutung für unser Business, um die Effizienz zu steigern und unsere Services für unsere Kunden stetig zu verbessern. Unser Ziel ist es dabei, unseren Kunden einen zeitlichen Mehrwert zu bieten. Die Automatisierung hat eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung unseres e-Katalogs und unserer KI-basierten, digitalen Lösung meviy gespielt. Diese 3D-On-Demand-Fertigungsplattform optimiert den Beschaffungsprozess für Standard-, Sonder- und Montageteile. Darüber hinaus sorgt unsere Infrastruktur für einen schnellen Informationsfluss zu unseren Fertigungsstandorten und garantiert so eine zuverlässige und stabile Lieferkette.
Über die Fertigungsautomatisierung hinaus haben wir bei Misumi die technische Innovation auch auf die Logistik und den Kundenservice ausgeweitet. Unser Lagerautomatisierungssystem optimiert die Lagerverwaltung und die Versandprozesse. Gleichzeitig haben wir an unserem europäischen Hauptsitz in Frankfurt am Main und in Zusammenarbeit mit ParcelLab eine automatisierte Paketverfolgung eingeführt. Das erhöht die Transparenz und Zuverlässigkeit der Logistikabläufe. Darüber hinaus zeigt sich unser Engagement für die Automatisierung von Prozessen in Initiativen wie dem automatisierten Hochladen von Rechnungen und einem Kundenselbstbedienungsportal, das einen bequemen Zugang zu wichtigen Dienstleistungen bietet.
Könnten Sie uns mehr über die meviy-Plattform von Misumi erzählen? Wie trägt diese Plattform zur Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in der Produktion bei?
Die meviy-Plattform wurde mit dem Ziel entwickelt, die Wertschöpfung in Fertigungsprozessen zu steigern. Ursprünglich optimierte unser E-Katalog die Beschaffung von Bauteilen durch das Angebot von über 20 Millionen konfigurierbaren Standardkomponenten. Das Feedback unserer Kunden machte jedoch deutlich, dass die Spezifikationen für kundenspezifische Bauteile sehr komplex sind, was uns dazu veranlasste meviy zu entwickeln. Diese innovative Plattform ermöglicht es den Nutzern, Bauteile ausschließlich anhand von 3D-CAD-Modellen zu beschaffen, sodass keine aufwendigen 2D-Zeichnungen mehr erforderlich sind. Mit meviy werden Arbeits- und Wartezeiten um bis zu 90 Prozent reduziert, wodurch diese Ressourcen in der Konzeptions- und Testphase optimal genutzt werden. Der Kunde erhält automatisierte Kostenvoranschläge innerhalb von Sekunden, sodass die Konstrukteure ihre Entwürfe unter Berücksichtigung der Kosten anpassen können, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Des Weiteren garantieren flexible Lieferzeiten und ein KI-gesteuertes, digitales Fertigungssystem eine zuverlässige Lieferung und Preisgestaltung.
Inwieweit hat Misumi Nachhaltigkeitsaspekte in seine Fertigungsprozesse integriert? Wie spielt das Thema Nachhaltigkeit bei der Entwicklung neuer Produkte und Technologien eine Rolle?
Nachhaltigkeit ist ein integraler Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Wir setzen uns dafür ein, dass wir unsere Geschäftstätigkeiten verantwortungsvoll und umweltbewusst durchführen. Im Jahr 2021 haben wir einen „Ausschuss für Nachhaltigkeit“ eingerichtet, der unsere Nachhaltigkeitsinitiativen steuert, grundlegende Richtlinien entwickelt und dem Vorstand Empfehlungen vorlegt. So reduzieren wir beispielsweise unseren CO₂-Fußabdruck, indem wir uns dafür einsetzen, dass Fertigungsprozesse lokal vor Ort stattfinden. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, unseren Kunden einen zeitlichen Mehrwert zu bieten und Prozesse zu optimieren. Die Aktivitäten von Misumi Europa im Bereich Nachhaltigkeit hat EcoVadis, der weltweit größte Anbieter von Nachhaltigkeitsratings, zuletzt mit einer Silbermedaille bewertet, worauf ich persönlich sehr stolz bin.
Wie sieht die Zukunft der Fertigungsindustrie, insbesondere in Bezug auf die fortschreitende Automatisierung und den Einsatz von innovativen Technologien aus?
Die Fertigungsindustrie der Zukunft wird durch einen hohen Automatisierungsgrad und die breite Einführung innovativer Technologien gekennzeichnet sein. Unser übergeordnetes Ziel ist es, verschwenderische Prozesse zu minimieren und unnötige Wartezeiten zu vermeiden. Wir entwickeln unsere Dienstleistungen kontinuierlich weiter und setzen uns für den Ausbau der digitalen Fertigungstechnologie in unseren Werken ein. Dafür nutzen wir modernste Innovationen, um traditionelle Fertigungsparadigmen zu revolutionieren. Unser Einsatz die Branche weiterzuentwickeln zeigt sich unter anderem in unserem Produktionssystem, das sich von einer Maschine pro Arbeiter zu einer Struktur von neun Maschinen pro Arbeiter in neueren Fabriken entwickelt hat und den Schwerpunkt auf operative Exzellenz und Ressourceneffizienz legt. Mit Blick auf die Zukunft gehen wir davon aus, dass die zunehmende Integration von KI, Robotik und datengesteuerter Entscheidungsfindung die Fertigungslandschaft prägen und intelligentere, effizientere Prozesse auf der ganzen Welt ermöglichen wird.