Arbeitnehmende in Deutschland sind immer weniger zufrieden mit ihrem Leben. Im europäischen Vergleich landet Deutschland mit 45 Prozent nur noch auf dem 20. Platz. Mit dieser negativen Entwicklung steht Deutschland jedoch nicht allein da: In 17 von 38 europäischen Staaten fällt die Beurteilung des eigenen Lebens kritischer aus als im Vorjahr, aber in keinem anderen europäischen Land ist der Wert so stark gesunken.
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Weltweit 128.278 Beschäftigte befragt
Für den Bericht „Gallup State of the Global Workplace 2024" wurden in 145 Ländern der Erde insgesamt 128.278 Beschäftigte befragt, wovon 16.163 Interviews in Europa geführt wurden (38 Länder). Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft im jeweiligen Land.
Wo Mitarbeitende in Europa am zufriedensten sind
Bei der aus zwei Teilen bestehenden Frage zur Einschätzung der eigenen Lebenssituation geht es nicht nur um den aktuellen Zustand, sondern auch darum, wie die Befragten die Entwicklung in fünf Jahren einschätzen. Dabei zeigt sich:
- Zwar sind Beschäftigte in Europa eher zufrieden und zuversichtlich als Arbeitnehmende im Rest der Welt (47 % vs. 34 %), die DACH-Region liegt dabei jedoch mit 44 Prozent unter dem europäischen Schnitt. Denn auch in Österreich (48 %; - 6 Prozentpunkte) und der Schweiz (54 %; - 5 Prozentpunkte) hat der Anteil derjenigen abgenommen, die zufrieden und zuversichtlich sind.
- Innerhalb der G7 hinkt Deutschland deutlich hinter den Spitzenreitern Kanada (59 %) und USA (53 %) her, liegt aber weit vor Japan (29 %). Das Vereinigte Königreich kommt auf 48 Prozent, Frankreich und Italien auf jeweils 41 Prozent.
- Die Top 5 bei der Zufriedenheit der Beschäftigten in Europa sind, wie im Vorjahr, Finnland (83 %), Dänemark (77 %), Island (76 %), die Niederlande (71 %) und Schweden (70 %).
Stresslevel in Deutschland auf hohem Niveau
Das Stresslevel in Deutschland hat sich im Vergleich zum Vorjahr zwar leicht erholt (- 1 %), bewegt sich aber im europäischen Vergleich mit 41 Prozent weiterhin im vorderen Drittel. Damit liegen die deutschen Beschäftigten auch klar vor ihren Nachbarn aus Österreich und der Schweiz: Hier klagt jeweils nur rund einer von drei Beschäftigten (Österreich: 35 %; Schweiz: 30 %) über Stress - mit sinkender Tendenz.
„Die Kombination aus gesunkener Lebenszufriedenheit und immer noch überdurchschnittlich hohem Stress kann darauf hindeuten, dass die Befragten zunehmend das Gefühl haben, viele der Faktoren, die ihr Leben bestimmen, nicht selbst beeinflussen zu können. Es herrscht der Eindruck vor, dass gerade Einiges unrund läuft", sagt Marco Nink, Director of Research & Analytics EMEA bei Gallup.
Zum einen belaste der Arbeitskräftemangel in vielen Branchen diejenigen Arbeitnehmenden, die ihn kompensieren müssen. Darüber hinaus erwecken die aktuellen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Diskussionen oft den Eindruck, als käme Deutschland aus dem Krisenmodus gar nicht mehr heraus.
"Die Sorge um den Abstieg des Landes ist allgegenwärtig, die Wettbewerbsfähigkeit schwindet, und beim Wachstum ist Deutschland Schlusslicht in Europa. Das drückt nicht nur auf die derzeitige Stimmung, sondern wirkt sich auch auf die Zuversicht in die Zukunft aus", so Nink.
Zu ähnlichen Ergebnissen wie die Gallup-Studie kommt eine Umfrage der Beratungsagentur Auctority bei 5.000 Personen über 18 Jahren aus der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung sowie 2.500 Erwerbstätigen:
- Mittlerweile gibt eine Mehrheit von 55,7 % der Bevölkerung an, erschöpft zu sein. Ein Anstieg um 2,9 % zum Vorjahr und insgesamt 6,1 % gegenüber 2022.
- Bei rund einem Sechstel der Befragten erreicht das Maß der Erschöpfung einen kritischen Wert von neun oder zehn Punkten auf einer Skala von null bis zehn.
- Zugleich ging die Anzahl derjenigen, die sich nicht erschöpft fühlten, seit 2022 um 7,5 % zurück.
- Als wichtigste Maßnahme gegen die Erschöpfung wünschen sich aber 45,5 % der Erwerbstätigen "weniger sinnlose Arbeit", ein Wert, der im Vergleich zum Vorjahr um 4,9 % zugenommen hat.
- Markant hebt sich die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen ab, wo sich 56,4 % weniger sinnlose Arbeit wünschen.
Burn-out-Risiko deutlich angestiegen
Denn wie Daten aus dem Gallup Engagement Index Deutschland vom März 2024 zeigen, haben sich auch andere Faktoren negativ entwickelt:
- Dazu gehört die Burn-out-Gefahr, die bereits 2020 deutlich angestiegen ist und sich seitdem auf unverändert hohem Niveau bewegt. Lag sie vor Beginn der Corona-Pandemie noch bei 26 Prozent (2018 und 2019), geben derzeit 37 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland an, dass sie in den vergangenen 30 Tagen das Gefühl hatten, aufgrund von Arbeitsstress innerlich ausgebrannt zu sein.
- Auch die Work-Life-Balance wird von ihnen zunehmend kritischer wahrgenommen. Während 2021 noch 42 Prozent der Befragten sagten, ihre Arbeit erlaube es ihnen, ausreichend Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen, liegt die Zustimmung jetzt bei 36 Prozent.
- Immer mehr Beschäftigte geben darüber hinaus an, dass ihnen das Entspannen im Feierabend zunehmend schwerer fällt. Nur jeder Vierte (28 %) stimmt der Aussage „Es fällt mir leicht, in meiner Freizeit von meiner Arbeit abzuschalten" voll und ganz zu (2021: 36 %).
Das liegt in vielen Fällen daran, dass starke Belastung von Führungskräften nicht wahrgenommen wird oder sie nichts tun, um sie abzufedern. Wird für die größten Stressfaktoren wie Zeitdruck, mangelnde Unterstützung, fehlende Information, ständige Arbeitsunterbrechungen oder Überforderung durch zu viele Aufgaben keine dauerhafte Lösung gefunden, schlägt der Stress oft in Wut um. Gallup-Experte Marco Nink: "Gute Führung, die in hoher emotionaler Bindung resultiert, kann eine wirkungsvolle Prophylaxe gegen Stress, Burn-out und den damit verbundenen Folgen wie Fehlzeiten sein."
Europa hat Nachholbedarf in Sachen emotionaler Bindung
Gerade daran aber hapert es in Europa. Denn es weist von allen zehn Weltregionen den niedrigsten Grad an emotionaler Mitarbeiterbindung auf (hohe emotionale Bindung: 13 % vs. 23 % global). Die DACH-Region (14 %) unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von Europa. Dabei liegt Deutschland (15 %) vor Österreich (10 %) und der Schweiz (9 %). Unter den G7-Ländern steht Deutschland auf Platz 3 hinter den USA (33 %) und Kanada (21 %). Das Vereinigte Königreich (10 %), Italien (8 %) und Frankreich (7 %) liegen unter dem Europa-Schnitt, Japan ist mit 6 Prozent das Schlusslicht.
Das Fazit von Marco Nink, Director of Research & Analytics EMEA bei Gallup: „Die Arbeitnehmenden hierzulande bewerten ihren Lebensstandard unverändert positiv, aber diese Ergebnisse sind kein Jammern auf hohem Niveau, sondern ein weiterer Risikofaktor auf einem sowieso schon angeschlagenen Arbeitsmarkt. Unternehmen müssen genau hinschauen, wo es hier hakt, und gezielt gegensteuern."
Der Autor: Peter Koller
Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.