Laut dem 9. “State of Smart Manufacturing”-Report von Rockwell Automation scheint KI in der deutschen Industrie angekommen zu sein. Ist das wirklich so oder sehen wir hier nur ein Symptom des ChatGPT-Hypes?
Gunther Sälzler: Mit den Technologiesprüngen, die es gegeben hat, ist KI tatsächlich mittlerweile in der Industrie angekommen – und das nicht erst seit ChatGPT. Machine-Learning-Anwendungen gab es auch schon deutlich vorher, wenn auch nicht in dieser Komplexität und mit diesen großen Sprachmodellen. Und KI ist in der Tat gekommen, um zu bleiben. Wir betrachten das als den nächsten Quantensprung in der Automatisierungstechnik. Dementsprechend setzen wir auch bei Rockwell Automation KI-Lösungen in vielen Bereichen ein.
Wo zum Beispiel?
Sälzler: Wir haben etwa autonome mobile Roboter, die mit KI-Unterstützung ihren Fahrweg optimieren. Aber das Thema KI betrifft viele Produkte, was sich zunehmend auch in unseren Produktnamen wie FactoryTalk Analytics GuardianAI niederschlägt. Das ist eine Anwendung, um Anomalien im Produktionsprozess frühzeitig zu erkennen und ungeplante Produktionsstilllegungen zu verhindern. Aber letztlich geht es darum, dem Kunden eine gut funktionierende Anwendung bereitzustellen. In vielen Fällen muss er gar nicht wissen, dass im Hintergrund eine KI arbeitet.
KI in der Industrie gibt es in der Tat schon lange, etwa in Form der Erkennung von Schwingungsmustern bei Lagern für Predictive Maintenance. Worin liegt die neue Qualität in der aktuellen Entwicklung bei KI?
Sälzler: Zwei Dinge. Zum einen ist es von einem Thema für Spezialisten stark in die Breite gegangen. Zum anderen ist der Kostenaufwand massiv gesunken. Heute reicht oft ein kleines Edge-Device, um eine Machine-Learning-Anwendung umzusetzen. Es geht aber noch weiter: ChatGPT und Large Language Models (LLM) im Allgemeinen haben uns gezeigt, wie einfach es ist, Texte – oder Bilder aus Texten – zu generieren. Dieser generative Aspekt stellt eine neue Qualität dar. Das nutzen wir auch bei unserem Copilot, der in Kooperation mit Microsoft entstanden ist und jetzt als Teil unseres FactoryTalk Design Studios für die Kunden verfügbar wird.
Welche Möglichkeiten ergeben sich damit?
Sälzler: Es wird zum Beispiel möglich sein, ein Stück Applikationscode daraufhin analysieren zu lassen, welche konkreten Aktionen dieser zur Folge hat und sich das in Textform erklären zu lassen. Umgekehrt kann man natürlich auch Text eingeben und sich von dem LLM den passenden strukturierten Code etwa für eine Ventilsteuerung ausgeben lassen.
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Ein Ergebnis der Studie war auch: KI soll fehlende Fachkräfte ersetzen. Doch gleichzeitig fehlen offenbar die Fachkräfte für die Einführung von KI-Lösungen. Wie kommt man als Anwenderunternehmen aus diesem Teufelskreis heraus?
Sälzler: Stimmt, das ist ein wenig wie das Henne-Ei-Problem. Aber der aktuelle Boom der KI bedeutet ja nicht, dass wir jetzt überall Data Scientists benötigen. Es geht nicht darum, dass jeder verstehen muss, wie ein neuronales Netzwerk funktioniert. Mitarbeiter in den betroffenen Bereichen müssen künftig aber wissen, wie sie KI für ihre Aufgaben nutzen können und in der Lage sein, die Ergebnisse der KI sinnvoll zu bewerten.
Wie kann das gelingen?
Sälzler: Es geht darum, diese Technologie möglichst einfach nutzbar zu machen. Da sind Hersteller wie Rockwell Automation gefragt. Gleichzeitig müssen aber auch die Anwenderunternehmen ihre Mitarbeiter schrittweise schulen – am besten mit kleinen Aufgaben, aus denen man unmittelbar einen Nutzen ziehen kann.
Laut der Studie wollen Unternehmen KI vornehmlich im Bereich der Prozessoptimierung nutzen. Wie kann das konkret aussehen?
Sälzler: Wir haben gerade beispielsweise einen Anwendungsfall, da geht es um den sogenannten “Golden Batch” bei der Dosierung einer Emulsion – also die Frage, mit welchen Produktionsparametern lässt sich eine Charge mit möglichst geringer Fehlerquote herstellen. Gerade bei solchen nicht-trivialen Aufgaben mit sehr vielen Variablen, die bisher oft von Mitarbeitern mit sehr langer Erfahrung gelöst wurden, kann KI durch ihre Lernfähigkeit wirklich helfen.
Der Autor: Peter Koller
Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.