Ein Roboter, der den Müll rausbringt oder das Frühstück zubereitet. Und dann mit zur Arbeit kommt und vom Büro bis in die Fertigung den Laden schmeißt. Ein digitales Heinzelmännchen. Wir Menschen brauchen dann nur noch das Leben genießen und können uns interessanteren Themen zuwenden.
Utopie? Der Robotikspezialist Neura ist der Meinung, dass es so kommen wird. Kognitive Robotik werde den Alltag ähnlich revolutionieren wie die Erfindung des Smartphones vor gerade einmal gut 16 Jahren. „Nun bekommen Smartphones Arme und Beine. Kognitive Roboter werden uns nicht nur virtuell entlasten, sondern auch ganz real unangenehme Aufgaben übernehmen. Während wir Zeit mit Freunden oder Familie verbringen, übernimmt ein Roboter in Zukunft das Fensterputzen“, erklärt David Reger, CEO und Gründer von Neura, seine Vision.
Was sind kognitive Roboter?
Kognitive Roboter können aus ihrer Umgebung lernen, selbstständig Entscheidungen zu treffen und sich an verschiedene Szenarien anpassen. Für Pick-and-PlaceAufgaben muss ein kognitiver Roboter beispielsweise nicht mehr lernen, wie die einzelnen Teile aussehen, bevor er sie greifen kann. Stattdessen erfasst er mit seiner Kamera die Größe des Objekts und passt sein Verhalten entsprechend an. Drei Fähigkeiten machen einen kognitiven Roboter lernfähig:
- Er kann seine Umgebung vollständig wahrnehmen: sehen, hören und tasten
- Er kann diese Reize verarbeiten und bis zu einem gewissen Grad selbstständig auf Neues und Unbekanntes reagieren. Ohne auf spezielle Fälle programmiert worden zu sein – wie im Beispiel mit den unterschiedlich großen Gegenständen, die ein Roboter auch ohne Training greifen kann.
- Er speichert neu Gelerntes für die Zukunft und entwickelt seine Fähigkeiten weiter. Damit eröffnen kognitive Roboter neue Anwendungsmöglichkeiten insbesondere in der Logistik, der Kommissionierung oder auch beim Schweißen und Montieren.
Meilenstein für die Logistik
Werner Kraus, Head of Robotics am Fraunhofer IPA, ist in seiner Einschätzung zurückhaltender: „Humanoide Roboter sind die Vision, aber das wird dauern. Da entsteht viel. Derzeit finden wir kognitive Robotik vor allem in Anwendungen, die einen klar definierten und technisch sowie wirtschaftlich realistischen Use Case bieten.“
Für die Logistikbranche ist kognitive Robotik ein Meilenstein: Onlinehandel und demografischer Wandel treiben den Bedarf in die Höhe. Auf der Logimat präsentierte das Fraunhofer IPA erfolgreich eine Pick-andPlace-Anwendung: Bis zu 1 300 Griffe schaffte der Roboter. Menschen gelingt diese Taktzahl nur mit Mühe. „Früher brauchte es CAD-Modelle, die dem Roboter beibringen, welches Objekt er da greift und wie er es am besten greift. Mit den Foundation-Modellen sind wir in der Lage, dass der Roboter beliebige Objekte greifen kann, die er möglicherweise gar nicht kennt, und diese kann er dann auch wieder sauber in die Kiste legen“, erklärt Kraus. Die Grenze momentan: Sehr große oder sehr kleine Gegenstände kann der Roboter nicht greifen, da er mit einem Saugnapf ausgestattet ist. Dann muss der Werker den Greifer manuell wechseln beziehungsweise ein automatischer Greiferwechsel wird umgesetzt.
Der Roboter selbst hat sich übrigens gar nicht so sehr verändert. Neu ist, dass er auf vortrainierte neuronale Netze zurückgreifen kann, von denen er lernt. Die Vision: KI-basierte und kognitive Robotik in neue Märkte bringen wie etwa Recycling, Laborautomation oder Landwirtschaft. Allerdings stößt man hier bisher auf unstrukturierte Prozesse oder Barrieren wie Aufzüge, Rampen oder Stufen. Damit tun sich Roboter heute noch schwer.
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Schweißroboter gleichen Toleranzen aus
Beim Schweißen sind Roboter schon seit Jahrzehnten im Einsatz. Die Herausforderung bestand bisher darin, dass die Fertigung besonders präzise sein musste, wenn ein Roboter später schweißen sollte – auch wenn das für ein bestimmtes Bauteil vielleicht gar nicht nötig war. Für den Roboter war es aber wichtig, dass die Schweißnaht immer genau an der gleichen Stelle sitzt.
Kognitive Roboter erkennen Schweißnähte automatisch und können Toleranzen ausgleichen. „Man muss sie also nicht mehr programmieren, sondern fährt den Roboter einfach an den Anfang der Naht. Er sucht dann in einem bestimmten Umkreis nach dem Nahtanfang und schweißt“, sagt Kraus vom Fraunhofer IPA. Auch unterschiedliche Metalle oder Formen sind möglich. Damit werden die Roboter auch für kleine und mittlere Unternehmen wirtschaftlich, denn die Programmierung kann die Schweißfachkraft übernehmen. Roboterexpertise ist nicht mehr nötig.
Akzeptanz der MitarbeiterInnen einplanen
Und wie reagieren die Mitarbeitenden? „Wir denken die Akzeptanz von Anfang an mit“, sagt Jana Jost, Abteilungsleiterin Robotik und Kognitive Systeme am Fraunhofer IML. „Das Design muss passen und wir müssen dem Roboter beibringen, was wir aus der MenschMensch-Beziehung wissen. Zum Beispiel, dass man bestimmte Abstände einhält.“
Wichtig sei auch, die Mitarbeitenden früh zu fragen, wo sie Bedarf für Unterstützung durch Robotik sehen und zu erklären, dass die Roboter keine Arbeitsplätze vernichten sollen. Im Gegenteil, sie schaffen welche: „Die Werker haben zu viele Aufgaben, die oft monoton und damit fehleranfällig sind. Hier können Roboter unterstützen. Außerdem sind sie eine Chance, Produktionskosten zu senken und den Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen“, sagt Jost. Für sie ist auch klar: Unternehmen müssen in die Mensch-TechnikInterak tion investieren, auch wenn die Effizienzsteigerung nicht immer messbar ist.
"Geisterschichten" belohnen die Mitarbeitenden
Beide Fraunhofer-Institute haben sowohl Zustimmung als auch Ablehnung der MitarbeiterInnen gegenüber den neuen ‚Kollegen‘ erlebt. Kraus schildert, wie es nach Inbetriebnahme eines Roboters einen Crash gab. Nachdem sich das Team vom Fraunhofer IPA die Daten angesehen hatte, stellten sie fest: Der Roboter stand zum Zeitpunkt des Crashs still. Ein Staplerfahrer war absichtlich in ihn hineingefahren, weil er den Roboter als Konkurrenz empfand. Besser gelang es einem anderen Unternehmen: Hier hat der Roboter über Nacht Bauteile geschweißt. Die Mitarbeitenden haben für jedes Teil, das der Roboter in der ‚Geisterschicht‘ schweißt, einen Lohn erhalten. So war die Motivation hoch, den Roboter mit sinnvollen Aufträgen zu versorgen und sicherzustellen, dass er ausgelastet war.
Entscheidender Faktor für die Akzeptanz der kognitiven Roboter bei Bedienern ist auch die Sicherheit am Arbeitsplatz. Hersteller Neura hat deshalb einen Sensor entwickelt, der den Menschen auch ohne Sichtkontakt erkennt und sein Verhalten entsprechend anpasst. „Kommt ein Mensch dem Neura-Roboter Maira zu nahe, stoppt er seine aktuelle Tätigkeit komplett und nimmt sie erst wieder auf, wenn sich die Person wieder entfernt“, erklärt Reger.
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KI-Gesetz soll Datenschutz sichern
Bei all den Kameras und Sensoren, die den Bediener potenziell beobachten, müssen Hersteller und Unternehmen außerdem den Datenschutz beachten. Solange man sich in der EU bewegt, gilt auch hier die DSGVO. Zusätzlich hat das EU-Parlament im März 2024 den Artificial Intelligence Act beschlossen, der die Sicherheit und Qualität von KI-Systemen regeln soll. „Schwierig wird es, weil wir auf einem globalen Markt sind und es Entwicklungen aus dem asiatischen Bereich geben wird, die diesen Datenschutz nicht beachten – man wird sehen müssen, wie wir damit umgehen“, so Jost vom Fraunhofer IML.
Weitere ungeklärte Themen sind nach Ansicht von Neura-CEO Reger die ethischen, rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen: „Von unserer Seite wäre schon viel mehr möglich, doch wir stehen da etwas auf der Bremse, bis die Gesellschaft ihre Hausaufgaben gemacht hat und bereit ist für die Robotik im Alltag.“ Bis der Roboter die Wäsche aufhängt, wird es wohl noch eine Weile etwas dauern.