Ferrari-World
Katapult-Achterbahnen brechen mit hydraulischem Antrieb Rekorde
In der Ferrari-World in Abu Dhabi befindet sich die derzeit schnellste Achterbahn der Welt. Innerhalb von nur zwei Sekunden beschleunigt sie von Null auf Hundert, die 240 km/h sind nach 4,5 Sekunden erreicht.
Ich erinnere mich an meine erste Fahrt mit einer Holz-Achterbahn. Das war in den späten 1980er-Jahren in Budapest. Nicht alleine das Knarzen des hölzernen Gebälks hatte mich damals irritiert. Nein, vor allem die Tatsache, dass in jedem Wagen ein Bremser mitfuhr, der vor Kurven kräftig Tempo reduzierte, um zu verhindern, dass der Wagen aus dem Gleisbett springt. Die Hullámvasút, so der Name der Achterbahn im Stadtwäldchen von Budapest, wurde zwischen 1922 und 1926 erbaut. Seither wurde die Holzkonstruktion immer wieder erneuert, die Streckenführung aber original beibehalten. 980 Meter lang, 17 Meter hoch und mit einem Gefälle von bis zu 45° – allein die sichtbare Tatsache, dass es keine mechanischen Sperren gegen das Abheben des Zuges gibt und keine Gurte oder Haltebügel, machte die fünf Minuten lange Fahrt zu einem meiner intensivsten Achterbahn-Erlebnisse.
Zwanzig Jahre später. Im Europapark in Rust werden all meine Achterbahn-Erfahrungen auf den Kopf gestellt. Bislang war ich es gewohnt, dass eine Achterbahnfahrt gemütlich los ging. Man wird in moderatem Tempo zum höchsten Punkt der Anlage gezogen und unter dem Gejohle der Mitfahrer kippt der Zug nach unten. Nicht so beim neuen Blue Fire Megacoaster in Rust. Eben noch sitze ich gespannt und gut festgeschnallt im Wagen, da geht ein Ruck durch den Zug und in knapp drei Sekunden beschleunigen elektrische Linearantriebe den rund zehn Tonnen schweren Zug von null auf rund 100 km/h. Mit Wucht drückt es mich auf der 60 Meter langen Beschleunigungsstrecke in die Sitze. Die turbulente Fahrt mit Beschleunigungswerten bis zu 3,8 g ist mit 1056 Metern fast genau so lang wie jene in Budapest, mit zwei Minuten aber deutlich kürzer – inklusive diverser vertikaler und flacher Loopings. Wow.
Katapulte für die Freizeit
Ja, moderne Achterbahnen legen Katapultstarts hin. Im Wortsinn. Launch Coaster werden sie im Gegensatz zu den Lift-Achterbahnen neudeutsch genannt und ihr Antrieb ähnelt jenen Dampfkatapulten, mit denen Düsenjäger auf Flugzeugträgern von den Schiffen getrieben werden. Die Technik, einen Achterbahn-Zug mittels Zugwagen (auch Caddy oder Catch Car genannt) zu beschleunigen, ist nicht neu. Bereits 1976 entwickelte der deutsche Fahrgeschäft-Konstrukteur Anton Schwarzkopf Katapult-Achterbahnen. Die ersten Modelle nutzten ein Gewicht, das hochgezogen und dann fallen gelassen wurde, um den Zug zu beschleunigen. Später trieb ein Motor eine mehrere Tonnen schwere Schwungscheibe an, deren Energie über eine Rutschkupplung auf eine Seilwinde ging, die wiederum den Catch Car anzog. Die elektrisch betriebenen Launch Coaster wiesen aber einen derart hohen Stromverbrauch mit entsprechend notwendigen Anschlusswerten auf, dass sie lange Zeit nur in amerikanischen Freizeitparks zu finden waren.
Das änderte sich 2002 mit der Entwicklung der ersten Hydraulik-Katapulte. Die benötigten Strommengen ließen sich erstmals auf das Niveau großer Lift-Achterbahnen drücken und entsprechende Anlagen wurden auch in Europa gebaut. Die Technik ist dabei im Prinzip simpel: Pumpen bauen Druck auf, der in Speicherbehältern mit komprimiertem Stickstoff gesammelt wird. Die zum Start notwendige Energie kann so kontinuierlich gespeichert werden. Für den Startvorgang wird das Hydrauliköl einer größeren Zahl von Hydromotoren zugeführt, die wiederum eine mehrere Stahlseile führende Winde antreiben. Die gesammelte Energie kann so sehr schnell freigesetzt werden.
Der große Themenpark Ferrari World in Abu Dhabi führt das Prinzip nun in eine neue Dimension. Hydraulisch angetrieben wird der Besucher in unter fünf Sekunden auf 240 km/h beschleunigt – schneller als ein Formel-1-Bolide. Damit ist die im November 2010 in Betrieb gegangene Anlage die schnellste Achterbahn der Welt. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit und des Sandes müssen die Fahrgäste während der eineinhalb Minuten dauernden Fahrt sogar Schutzbrillen tragen, die bewältigte Strecke beträgt dabei 2,2 Kilometer, die Beschleunigungswerte gehen bis auf 4,8 g.
Auf und ab seit über 500 Jahren
Dabei hatte alles so gemütlich angefangen. Auf die Idee, die Beschleunigung als Belustigung auf Märkten anzubieten, kamen wohl die Russen. Ihr kaltes Klima spielte ihnen dabei in die Hände: Bereits im 16 Jahrhundert sind so genannte „Russische Berge“ erstmals erwähnt, etwa 20 Meter hohe Holzgerüste, die mit Wasser übergossen zu Eisbahnen wurden. Mit Schlittschuhen, Schlitten, Decken oder Fellen sollen die Vergnügungssuchenden den künstlichen Hang hinab geglitten sein. Um den Spaß auch im Sommer genießen zu können, wurden die Schlitten später auch mit Rollen versehen.
Diese Konstruktionen entdeckten einige Jahrhunderte später französische Soldaten auf ihrem Russland-Feldzug unter Napoleon. Den Sieg brachten die Franzosen nicht mit nach Hause, wohl aber die Idee der „Montagnes Russes“ – ein Name, der sich im Spanischen für die Achterbahn bis heute erhalten hat. Die erste öffentliche Achterbahn in Westeuropa wurde entsprechend 1817 in Frankreich eröffnet, immerhin schon rund 30 Meter hoch. Sie nannte sich „Promenades Aériennes“ und befand sich im Parque Bouillon auf dem Gebiet der heutigen Champs Elisées. Allerdings kam es auf den wellenförmigen Abfahrten immer wieder zu schweren Unfällen, sodass das Fahrgeschäft wieder geschlossen wurde.
Während die Entwicklung der Spaßbahnen in Europa stagnierte, erlebte der „Roller Coaster“ in Amerika eine wahre Blüte. So wurde die Kohleminenbahn in Mauch Chunk, Pennsylvania, ab 1870 zu Vergnügungszwecken genutzt und 1884 auf Coney Island bei New York die so genannte „Gravity Pleasure Switch Back Railway“ errichtet. Der deutsche Begriff „Achterbahn“ stammt wahrscheinlich von dem 1898 auf Coney Island eröffneten neuen Roller Coaster, der ersten Bahn, die ihre Runden in Form einer Acht drehte. Die erste große Achterbahn Deutschlands war die 1908 in München aus Holz konstruierte „Riesen-Auto-Luftbahn“.
In den folgenden Jahrzehnten ermöglichte die Verwendung von Stahl als Baumaterial immer gewagtere Konstruktionen, wobei allerdings Holzachterbahnen bis heute beliebt sind und auch immer wieder neu gebaut werden. Antriebskonzept war lange Zeit das Lift-Gravitations-Prinzip: Ein Kettenlift bringt die Wagen oder Züge zum höchsten Punkt der Anlage, ab da übernimmt die Schwerkraft den Fahrtverlauf. Später kamen Elektromotoren zum Einsatz, die in die Schienen integrierte Gummiräder antreiben. Auf diese Weise lassen sich auch Beschleunigungsstrecken im weiteren Verlauf der Bahn unterbringen. Auch in den Wagen integrierte Motoren wurden immer wieder eingesetzt, die Bahn mithin zum Selbstfahrer. Heute gibt es eine ganze Reihe von Antriebskonzepten. Moderne Steuerungs- und Umrichtertechnik ermöglicht es, den gesamten Zug zum Teil eines Linearantriebs zu machen.
Sicherheit wird eingekauft – weltweit
Und der letzte Schrei, ja das sind derzeit die Katapult-Achterbahnen, die Launched Coaster – elektrisch ebenso wie hydraulisch. Höher, schneller, weiter. Die Vergnügungsparks einer globalisierten Welt übertrumpfen sich mit Superlativen. Die Höchste, die Steilste, die maximale Beschleunigung und jetzt in Abu Dhabi die Schnellste muss es ein. Da frage ich mich als Achterbahn-Veteran: Wie sicher ist das alles überhaupt?
Weil ich ein neugieriger Mensch bin, greife ich zum Telefonhöhrer und rufe einfach mal den mir nächstgelegenen TÜV an: TÜV Süd in München. Und siehe da, ich bin genau an der richtigen Stelle. Alleine wegen des jährlich stattfindenden Oktoberfests sind die Münchner seit 1929 Experten in Sachen Achterbahn und Karussell. Die zuständige Abteilung nennt sich „Fliegende Bauten, Freizeitparks“, auf Englisch „Amusement Parks, Rides & Structures“ und gehört organisatorisch zum „TÜV Süd Industrie Service“. Ich werde mit Projektleiter Thomas Uhrig verbunden, der sich die Anlage zehn Tage lang intensiv angesehen hat. Hier erfahre ich weitere Details: „Wir haben eine komplette Prüfung nach der europäischen Norm EN 13814 für Freizeitparks durchgeführt“, erklärt Uhrig. Dazu gehören die Prüfung von technischen Unterlagen, die Kontrolle der Produktion sowie die Abnahmeprüfung vor der Inbetriebnahme. Wieso der deutsche TÜV in arabischen Emiraten prüfen muss, frage ich. „Wir müssen nicht“, erwidert der TÜV-Mann, „gesetzliche Vorgaben wie in Deutschland gibt es hier meist nicht“. Aber, so Uhrig, die Investoren selber drängten darauf, nur eine sichere und zuverlässige Anlage in Betrieb zu nehmen. Als Investitionsschutz und als Schutz vor Imageschäden, die bei einem Unfall unvermeidlich wären. Und so kommt der Münchner Achterbahn-TÜV immer öfter zu weltweitem Ensatz.
„Das spannendste an der Anlage in Abu Dhabi ist die ungeheure Energie, die in kurzer Zeit freigesetzt wird und die sicher beherrscht werden muss“, erklärt Uhrig. „Immerhin liegt die Leistung der hydraulischen Seilwinde für den Antrieb der Formula Rossa bei etwa 24 000 kW, das sind 32 000 PS.“ Insbesondere im Bereich der Steuerung gab es die Herausforderung, den Startvorgang mit den sehr kurzen Reaktionszeiten in allen Phasen sicher abwickeln zu können, so der Experte weiter.
In der Realität: Messen und fühlen
Wie denn so ein Test abläuft, will ich wissen. „Man tastet sich tatsächlich sukzessive und im Falle einer solchen Anlage in sehr, sehr kleinen Schritten an Extremsituationen heran und misst, analysiert dann das Gesamtverhalten und die Reaktion der Anlage auf die simulierten Szenarien hin.“ Klar, werfe ich ein, aber so ein Hydromotor ist ja nicht so komplex. Thomas Uhrig widerspricht: „Es ist weit mehr als nur ein einzelner Hydromotor, der zudem eine sehr sehr große Winde antreibt, an der dann der Zugschlitten hängt. Das ist schon eine anspruchsvolle Anwendung.“ Und er ergänzt: „Mindestens genauso spannend, von Sicherheitsseite eher noch spannender, ist die Aufgabe, dass dieser Schlitten vor der Winde sicher wieder angehalten wird.“ Was im Übrigen nach dem Wirbelstromprinzip passiert.
Ob er auch mitgefahren ist, will ich wissen. „Klar, das gehört zu einer Abnahme dazu, das hat nichts mit Gaudi oder Heroismus zu tun“, wiegelt Uhrig ab. Ob es ihm denn keinen Spaß gemacht habe? „Doch, das hat unheimlich Spaß gemacht. Nachdem wir vor Ort acht Tage intensiv geprüft haben, Messgeräte haben mitfahren lassen, dann ist die erste Probefahrt schon auch ein Genuss. Aber wie gesagt, das ist nicht nur Spaß, es gibt auch einen subjektiven Test. Schließlich gibt es Effekte, die nur ein Mensch sinnvoll beurteilen kann.“ Das Team der Fliegenden Bauten hat nicht nur die Formula Rossa, sondern auch die anderen zwölf Attraktionen der Ferrari World abgenommen. Doch die Achterbahn war für Thomas Uhrig schon das Highlight. „Was an dieser Anlage besonders ist, ist die wirklich hohe Geschwindigkeit von 240 km/h, die kurz nach dem Abschuss erreicht wird. Anschließend fährt man zwar sehr schnell wieder in Bremsen hinein, um diese ungeheure Energie wieder gezielt abzubauen. Damit der Zug auf der restlichen Strecke seine weitläufigen Kurven noch mit einer akzeptablen Belastung absolvieren kann. Wobei auch diese Geschwindigkeit immer noch sehr hoch ist.“
Insgesamt ist der TÜV-Spezialist mit der Qualität der Anlage sehr zufrieden. Mit allen modernen Anlagen eigentlich, wie er betont. Die Hersteller hätten heute schon ein sehr hohes Niveau erreicht. Das wiederum beruhigt mich als einfachen Journalisten und begeisterten Achterbahn-Fahrer. Und während ich diese Zeilen schreibe, denke ich bereits darüber nach, wann ich denn einmal nach Abu Dhabi kommen könnte, um die Anlage, über die ich so viel erfahren habe, dann einmal selbst zu erfahren.