Predictive Maintenance

Der Hellseher in der Maschine

Predictive Maintenance auf Zahnrad,
Predictive Maintenance ist für viele Unternehmen aus der Fluidbranche noch eine große Herausforderung. Ihr Domain-Know-how könnte ihnen dabei helfen.

Daten zu sammeln, ist eine Sache. Aber wie wandelt man Daten in Nutzen um, um Maschinen „hellseherisch“, sozusagen predictive, zu warten? Eine Herausforderung für viele Unternehmen aus der Fluidbranche. Ihr Domain-Know-how könnte ihnen dabei helfen.

"Predictive Maintenance ist der Service der Zukunft und nur noch eine Frage der Zeit – es werden Fakten geschaffen.“ Das ist ein Statement aus Projekterfahrungen der Roland Berger Befragung zum Thema Predictive Maintenance (PdM). Das Potenzial der vorauschauenden Wartung basiert auf den vier Werttreibern der Digitalisierung: Interkonnektivität, digitale Daten, Automation und direkter Zugriff. Daten aus Maschinen und Anlagen sollen gesammelt werden, verarbeitet, analysiert und so zu Prognosen von Ausfallwahrscheinlichkeiten führen, die wiederum Entscheidungen zu Wartung und Umstrukturierungen erleichtern sollen. So der Grundgedanke.

Dr. Stefan Spindler,
Dr. Stefan Spindler, Mitglied des Vorstands und CEO Industrie bei Schaeffler.

Klingt ja ganz einfach, oder? Doch Daten zu sammeln, ist nicht alles. Sie bilden lediglich die Grundvorrausetzung für PdM. Da kann der Trend Big Data weiterhelfen, wie Dr. Stefan Spindler, Mitglied des Vorstands und CEO Industrie bei Schaeffler auf dem auf dem 2. VDMA-Kongress „Predictive Maintenance 4.0“ erklärte: „Big Data ist extrem wichtig und ein Trend, der uns helfen wird.“ Helfen, digitale Services für die Zukunft zu generieren. Und hier stehen die meisten Industrieunternehmen noch am Anfang. Laut der Roland-Berger-Befragung bieten nur zehn Prozent der befragten Unternehmen bisher eine PdM-Lösung auf den Markt an. Immerhin arbeiten 40 Prozent gerade an Angeboten, und 19 Prozent haben kein Interesse an PdM-Lösungen.

Es ist also an der Zeit, dass sich Unternehmen Gedanken über eine PdM-Strategie machen. Denn Kunden und Endanwender wollen Services, wollen Added Value. Diese Meinung vertrat Dr. Roger Kehl, CIO bei Festo, auf dem VDMA-Kongress: „Vor vielen Jahren hat ein Eigentümer gesagt: We build and forget. Damals hatten wir die Überzeugung, dass unsere Produkte so gut in Qualität und Zuverlässigkeit sind, dass der Kunde es kauft und sich keine Gedanken mehr darüber macht. Das hat sich komplett geändert. Das heißt, wenn wir heute ein System verkauft haben, dann geht der Spaß erst los. Denn nach der Installation wollen wir die Mehrwert-Themen starten. Wir wollen Added Value generieren und das Predictive verkaufen.“

Added Value erst dank Big Data möglich

Werner Binsmaier,
Werner Binsmaier, Vice President Central Development bei Homag.

Added Value ist erst dank einer massenhaften Datensammlung möglich. Früher wurden Komponenten meist nach Betriebsstunden und dem Abnutzen der Werkzeuge gewechselt, also auf Verdacht. Und dabei meistens zu früh, denn je länger eine Komponente in der Maschine verschleißt, desto schwierieger wird es für die Instandhaltung dafür zu sorgen, dass sie funktioniert. Bei der PdM ist das anders: der Zustand wird gemessen, um über Verschleißmodelle und Zustandsüberwachung die Lebensdauer der Komponente vorherzusagen und die Instandhaltung zu optimieren.

Das spart Zeit, aber vor allem auch Geld, erklärte Werner Binsmaier, Vice President Central Development bei Homag, einem Hersteller von Holzbearbeitungsmaschinen, bei seinem Vortrag auf dem VDMA-Kongress: „Wenn ich in der Lage bin, den Zustand meiner Maschine tatsächlich zu messen, habe ich die Chance mit einem Kompromiss aus Instandhaltungs- und Wartungskosten, einen minimalen Kostenvorteil zu haben und keinen unerwarteten Ausfall zu riskieren. Und gleichzeitig optimiere ich die Verfügbarkeit meiner Anlage.“

Das heißt, dass die Daten sich langsam von der Applikation lösen und im Ganzen analysiert werden. Bernhard Müller, Mitglied der Geschäfstleitung bei Sick und Experte beim Thema Industrie 4.0, erklärt das so: „Wenn sich die Daten von den Applikationen lösen, muss sich eine Preventive Maintenance neu definieren. Es geht nicht darum, Daten zu sammeln und zu schauen was rauskommt. Sondern ich benutze, was es gibt und erkenne daraus, was wird."

Wie ziehe ich Daten aus der Maschine?

Dr. Roger Kehl,
Dr. Roger Kehl, CIO bei Festo.

Konnektivität ist hier das Stichwort. Denn wie bekomme ich überhaupt Daten aus der Maschine? Müssen Unternehmen ihre Maschinen mit intelligenten Sensoren ausstatten? Nicht nötig, meint Binsmaier von Homag: „Ich muss in die Maschine nicht immer neue Sensorik einbauen. Das kann ich in bestimmten Fällen tun, aber ich habe schon meist sehr viel Sensorik an Bord. Ich kann Zeiten messen, ich kann aus den Reglern Wirkleistungsströme messen, ich kann Temperaturen messen oder ich kann Drücke messen. All das messen Sensoren, die schon in der Maschine sind und die ich für mein Verschleißmodell benutzen kann.“

Zusätzliche Sensoren in der Maschine machen nur Sinn, wenn sie an Stellen verbaut sind, an der Kräfte wirken. Vor allem, wenn der Anwender hochpräzise ermitteln will, wie es dem Lager geht und vor allem über eine Verlagerungsmessung Rückschlüsse ziehen will, wie das Lager belastet wird. Bei PdM braucht dann auch jeder Sensor eine spezielle Zuordnung, eine „DNA“ wie Kehl von Festo das nennt. Erst dann kann man dem Sensor einem speziellen Ort zuordnen und kennt seine Historie. Wie hat sich die Komponente verändert und welche Updates gab es?

Nach der Datensammlung sollten sich Anwender dann fragen, was sie mit den Daten erreichen wollen. Wenn sie es auf Trends und Ausfallkriterien von Komponenten oder Maschinen abgesehen haben, sind große Datenmengen nötig. Wieso, erklärt Dr. Carsten Holtmann, Leader IoT Data and Analytics Solutions bei IBM: „Ein Meer an Informationen ist nur hilfreich, wenn ich tatsächlich Analytik betreiben will. Denn Analytik ist Statistik, und Statistik profitiert von großen Datenmengen.“ Um Zustände von Maschinen und Komponenten zu überwachen und vorbeugend zu warten, sollten die Daten allerdings selektriert werden, bevor Unternehmen sie in der Cloud oder im Rechenzentrum speichern. Bei der Selektion können verschiedene Softwaresysteme und Algorithmen helfen, aber auch intelligente Sensoren sind eine Lösung.

Christian Meindl,
Christian Meindl, Produktmanager Fluid-Mess- und Analysesysteme bei Hydac Filter Systems,

Christian Meindl, Produktmanager Fluid-Mess- und Analysesysteme bei Hydac Filter Systems: „In manchen Branchen und Bereichen macht es Sinn, einen Sensor sehr intelligent zu gestalten, eigenständig zu gestalten. Zum Beispiel bei einem Kompressor, der in der Halle steht oder bei großen Aggregaten.“ Dieser Meinung ist auch Müller von Sick: „Eigentlich müsste der Sensor sich lediglich melden, wenn etwas passiert ist und nicht immer die Kanäle verstopfen.“

Auch Andreas Dejok, Entwicklungs- und Appliaktionsingeneur bei Eaton, spricht intelligenten Sensoren bei der ersten Datense-lektion eine bedeutende Rolle zu: „In den Sensoren und Aktoren sitzt die Intelligenz, die Daten erfasst, abspeichert und sogar in Zukunft auswertet. Die Informationen werden dann an ein überleitendes Prozesssystem wie die Steuerung übertragen, wo dann entschieden wird, was gemeldet, was verworfen und was in der Cloud abgelegt wird.“

Grundlage für Intelligenz ist Domain-Know-how

Mitarbeiter an Maschine,
In der Roland-Berger-Umfrage zu Predictive Maintenance gaben zehn Prozent der Befragten an, dass sie ein vollumfängliches PdM-Proudkt am Markt haben, 40 Prozent arbeiten daran und 19 Prozent haben keines.

Doch eines sollten Unternehmen nicht vergessen: Die Grundlage für intelligente Sensoren und Co. ist das Domain-Know-how der Unternehmen selbst. Denn nur dank Algorithmen und Parametern können Sensoren intelligent arbeiten. Kehl von Festo: „Die Frage ist, was kann jemand mit unstrukturierten Daten anfangen? Das Unternehmen hat das Domain-Know-how und weiß was passiert. Am Ende des Tages können dann sogar Vorverrichtung und Analytik angewendet werden, um die richtigen Rückschlüsse zu ziehen.“

Andreas Dejok,
Andreas Dejok, Entwicklungs- und Appliaktionsingeneur bei Eaton.

Es ist allerdings nicht nur das Komponenten- und Technik-Know-how wichtig. Vielmehr muss, um Informationen aus Daten zu generieren, der Maschinenhersteller die Prozesse und Probleme des Kunden verstehen. Christian Meindl, Hydac: „Der Hersteller muss die Branche verstehen, muss die Anwendung verstehen und die Bedürfnisse des Kunden.“ Services zur Datenanalyse in der Cloud gibt es viele, doch erst mit dem Domain-Know-how der Komponentenhersteller kann echter Mehrwert aus den Daten gezogen werden.

Dafür müssen Komponentenanbieter wie Schaeffler tief in die Kundenprozesse einsteigen, sagt Spindler. „Wenn ich den Kundennutzen verstanden habe – ich muss mich mit seinem Kundenwissen und -prozessen auseinandersetzen – dann stellt sich die Frage, komme ich mit den gegebenen Produkten und Daten aus der existierenden Sensorik klar? Oder brauche ich sensorisierte Produkte, um zusätzliche Enabler zu haben, um die Analyse und das Datenmanagement zu fahren.“

Predictive Maintenance auf der MDA

Bernhard Müller,
Bernhard Müller, Mitglied der Geschäfstleitung bei Sick und Experte beim Thema Industrie 4.0.

Wie dies in der Praxis aussieht, zeigt Schaeffler mit seinem Service rund um Wälzlager auf der MDA in Hannover. Ihren Predictive-Maintenance-Service bieten sie zum Beispiel bei Windkraftanlagen und Schienenfahrzeugen an.

Kontinuierlich werden Schwingung, Temperatur und Drehzahl erfasst und ausgewertet, Unregelmäßigkeiten detektiert und Auswirkungen auf die Lagerlebensdauer berechnet. Dies passiert alles in der Schaeffler Cloud, die das Ergebnis in Klartext zur Verfügung stellt. Das heißt, der Anwender muss keine Kenntnisse mehr über die Auswertung der Sensordaten vorweisen können. Die Auswertung übernimmt das System; der Lagerzustand kann per Internet weltweit abgerufen werden, ebenso die errechnete Restlaufzeit auf Basis realer Lastkollektive. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen, zuammen mit IBM, in Zukunft auch per Machine Learning zur Optimierung führen.

Ein PdM-System für hydraulische Antriebe zeigt Parker auf der MDA. Mit dem Total-System- Health-Management erfasst das Unternehmen die Daten des gesamten Systems inklusive der Peripherie, analysiert und wertet sie aus, um entsprechende Maßnahmen zu generieren. So haben Anwender die Gesamtproduktivität sowie die Total Cost of Ownership komplexer Systeme wie Hydraulikanlagen oder fluidtechnischer Antriebe im Blick und können vorbeugend Instandhaltungsmaßnahmen vornehmen.

Das Domain-Know-how ist der Schlüssel, um aus Daten Informationen und aus Informationen konkrete Aktionen werden zu lasen. Das erklärte auch Kehl von Festo beim VDMA. Das Domain-Know-how sei ein wichtiges Stand-Alone-Merkmal der Industrieunternehmen: „Unser Domainwissen ist unsere Chance, die Komponenten in der künftigen Customized Industrie nutzbar zu machen. Dabei müssen wir es dem Kunden so einfach wie möglich machen und seine Sprache sprechen.“

Predictive Maintenance 4.0 in Hannover

Das Thema Predictive Maintenance wird auf der MDA eine zentrale Rolle spielen. Denn vor allem in Hinblick auf die vernetzte Produktion und Industrie 4.0 ist die vorausschauende Wartung ein wichtiger Baustein. In Halle 19 findet deshalb die Sonderschau Predictive Maintenance 4.0 statt. Auf einer Ausstellungsfläche von 500 m² werden verschiedenste Anwendungen gezeigt. Auch auf dem MDA Forum, Halle 9, Stand C49 ist das Predictive Maintenance ein Thema in Vorträgen und Diskusionnen. Daneben zeigt das 7. MDA Forum Präsentationen von relevanten Themen aus der Antriebs- und Fluidtechnik, neuen Entwicklungen und weltweiten Techniktrends. Unter anderem werden die Themen Nachhaltigkeit/Energieeffizienz, Smart Manufacturing/Industrie 4.0, Antriebssysteme für Windkraftanlagen, Dichtungstechnik und Development of the Indian Market behandelt.